Warum Michael Kretschmer nicht in meinem Namen spricht

Er wurde von einer Regierungskoalition zum Ministerpräsidenten gewählt, der ich angehöre. Ich habe diese Wahl als Abgeordneter mitgetragen. Das heißt aber nicht, dass ich alle seine öffentlichen Äußerungen mittrage.

Seine Ukraine-Aussagen gestern Abend im ZDF bei Markus Lanz sorgten zwar bei den anderen Gästen für Kopfschütteln. Doch sie folgen einem klaren Kalkül. Da ich in Sachsen lebe, weiß ich, dass Michael Kretschmer einem – nicht kleinen – Teil der Sachsen nach dem Mund redet. Das kann ich an vielen Gesprächen mit Bürger:innen, Leserbriefen oder Emails ablesen. Für dieses Kalkül spielt es keine Rolle, ob die Äußerungen in sich logisch oder zu Ende gedacht sind. Entscheidend ist das Kopfnicken dieses Teils der Bevölkerung.

Auch ich bin für Friedensgespräche und ein schnelles Ende dieses Krieges. Das russische Militär muss die Angriffe sofort einstellen und die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete räumen. Gerade mit meiner Biografie in der DDR werde ich Unterdrückung von Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung mit militärischer Gewalt und staatlichem Zwang niemals billigend in Kauf nehmen. Allein schon der Aufnäher “Schwerter zu Pflugscharen” an der Jeansjacke führte damals zu massiver Repression. Ich verstehe aber, dass dies für viele Menschen in Ostdeutschland nicht so prioritär ist wie für mich. Denn schon in der DDR gehörte ich nicht zur Mehrheit derer, die sich irgendwie mit den Machthabern arrangierten, um trotzdem ein halbwegs gutes Leben in der Diktatur führen zu können.

Wir haben 1989 Diktatur und Meinungsunterdrückung überwunden. Umso ratloser macht es mich, wenn Michael Kretschmer ein Bild zeichnet, dass es heute wieder eine „Verengung auf eine Sichtweise mit einer Argumentationslinie“ gäbe. Dass eine „breite Debatte, ein Wägen von Argumenten, ein Für und Wider.“ notwendig sei. All das findet die ganze Zeit statt! Alle Sichtweisen, alles Für und Wider werden breit und uneingeschränkt vorgetragen und diskutiert! Er selbst bekommt sehr viel Raum in den Medien. Mit seinem Bild der „Verengung“ bedient er – gewollt oder ungewollt – die demokratieskeptische Haltung, dass in der Bundesrepublik Deutschland Meinungen einseitig unterdrückt würden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Selbst schwer erträgliche Meinungen können und werden in Größenordnungen und auch lautstark vorgetragen.

Als sehr problematisch empfinde ich das von Michael Kretschmer verwendete Sprachbild „Wir stürzen die ganze Welt ins Chaos”, also “Alle, die jetzt in Verantwortung sind.” Damit bedient er – gewollt oder ungewollt – nicht nur den ganzen schwierigen Diskurs, dass ja auch der Westen und die Ukraine Mitschuld am Krieg tragen würden, sondern vor allem die in Sachsen stark verbreitete, undifferenzierte Sicht auf Regierungsverantwortung. Dieses Sprachbild empfinde ich als direkten Angriff auf die Frauen und Männer in der deutschen Bundesregierung, als einen Angriff auf die, die in der aktuell brandgefährlichen Situation jeden Schritt mit großer Besonnenheit ausbalancieren und permanent zwischen hohen Risiken auf allen Ebenen abwägen müssen.

Wie geschrieben: Michael Kretschmer darf seine Meinung laut vortragen. Aber ich muss und werde mich nicht hinter dieser Meinung versammeln, nur weil ich Teil der Sächsischen Regierungskoalition bin oder weil ein großer Teil in Sachsen eine ähnliche Meinung wie er hat. Ich habe eine andere Meinung.

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