Die Familienförderung der Staatsregierung setzt auf Altbewährtes, hat dabei nicht alle Zielgruppen im Blick und ist nicht ausreichend am Wandel orientiert.
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die Stärkung von Familien ist allen Fraktionen wichtig. Das haben wir bei der aktuellen Debatte heute Morgen hören können, als es um die Förderung von Eltern-Kind-Zentren ging. Auch Familienministerin Barbara Klepsch betont oft den Wert von Familien. Zuletzt beim Sächsischen Familientag in Makranstädt. Ihre Botschaft lautete: „Wo Familie ist, ist Zukunft“. Doch es gibt Einflussfaktoren, die die Zukunft von Eltern und deren Kindern ganz wesentlich mit bestimmen. Es ist wichtig, ganz genau hinzusehen, welche Familien in Sachsen Unterstützung brauchen, welche Gründe es dafür gibt und welche Angebote das Land Sachsen unterbreitet bzw. welche Angebote nötig sind, damit alle Familien eine Chance auf selbstbestimmte Zukunft haben.
Die Staatsregierung hat auf reichlich 120 Seiten Auskunft gegeben. Auf den ersten Blick wird deutlich:
Die Lebensformen und somit auch die Familienformen befinden sich im Wandel.
Das Einkommen von Familien ist unterschiedlich und zeigt Unterschiede je nach Form der Familie auf.
Die Familienförderung der Staatsregierung setzt auf Altbewährtes, hat dabei nicht immer alle Zielgruppen im Blick und ist nicht ausreichend am Wandel orientiert.
Nun könnte man behaupten, das ist nichts Neues. Umso dringender wäre ein Kurswechsel. Denn die Veränderungen halten an und gewinnen an Dynamik. Das zeigen die Daten in Fünfjahresschritten von 2000, 2005, 2010 und zum Teil die Daten aus den Jahren 2014 und 2015.
Die großen Linien der Entwicklung wurden bereits angesprochen: Die Zahl der Alleinerziehenden ist in ganz Sachsen – in Bezug auf andere Familienformen − angestiegen. Am höchsten ist der Anstieg in den Städten Dresden und Leipzig. Gleiches gilt für die Zahl der nichtehelichen Partnerschaften.
Wir unterstützen den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKEN, denn:
– wir wollen alle Familien in den Blick nehmen. Datenlücken, beispielsweise zu Lebenslagen von Familien mit Migrationshintergrund und Familien mit behinderten Eltern oder Kindern, müssen behoben werden. Nur so kann deren Bedarf erkannt werden. Das kann und sollte Bestandteil der Sozialberichterstattung sein, die laut Koalitionsvertrag wieder eingeführt werden soll.
– wir wollen die Inanspruchnahme der Leistungen prüfen und nicht nur an Altbewährtem festhalten. Die Antworten zeigen zum Beispiel auch, dass die Kosten des Landeserziehungsgeldes seit 2002 kontinuierlich zurückgegangen sind. Das liegt zum einen an Kürzungen im Leistungsumfang, aber auch daran, dass weniger Familien das Landeserziehungsgeld nutzen. (S. 25/111)
– wir wollen Beratungsangebote dem Bedarf entsprechend ausbauen. Die Familienberatungsstellen berichten, die Probleme, die hilfesuchende Familien beschreiben, sind heute komplexer. Die Alters- und Zielgruppen haben sich verändert. Die Wartezeiten für ein Erstgespräch sind länger als früher. Das muss von der Staatsregierung ernst genommen werden.
– wir wollen, dass unterstützende Angebote Familien mit geringem Einkommen auch wirklich erreichen. Beispiel Familienerholung: Die Erhöhung im aktuellen Haushalt ist ein Tropfen auf den heißen Stein – unter schwarz-gelb wurde dieses Angebot fast komplett weg gespart. Auf Grundlage der überarbeiteten Förderrichtlinie erhalten Familien mit Hartz-IV-Bezug künftig einen noch geringeren Zuschuss zum Familienurlaub. Der bürokratische Aufwand bleibt gleich hoch. Das kritisiert auch die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände aktuell. (Seite 35)
Aus unserer Sicht gibt es noch weitere Aufgaben, die über den Entschließungsantrag hinausgehen:
Die Staatsregierung sollte ein Vorbild als familienfreundlicher Arbeitgeber sein. Die ausführlichen Antworten zeigen, es hat sich einiges getan in den Behörden des Freistaates. Viele bieten Teilzeitregelungen, flexible Arbeitszeiten und bei Bedarf Telearbeit an. Doch die Antworten zeigen auch, wie groß die Unterschiede zwischen den einzelnen Ministerien in punkto Familienfreundlichkeit sind. Das Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das Wirtschaftsministerium und die Staatskanzlei scheinen weiter zu sein. Sie bieten zum Beispiel Zeitausgleich zur Pflege Familienangehöriger an, Qualifizierung auch während familiär bedingten Beurlaubungen und verzichten auf Kernarbeitszeiten. Viele Ministerien haben ihr Haus auf Familienfreundlichkeit prüfen lassen. Teilweise ist das aber schon Jahre her. Im Sozialministerium fand die letzte Re-Auditierung „familieundberuf“ 2008 statt (S.8). Nachholbedarf gibt es auch an den Hochschulen. Kaum eine Hochschule kann ein Qualitätssiegel „familienfreundlicher Arbeitgeber“ vorweisen (S.79).
Programme zur Förderung von Frauen in der Erwerbsarbeit, in Führungspositionen und zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren bis 2013 über den Europäischen Sozialfonds finanziert. (S. 12) Ob die neuen Programme ausreichend sind, bleibt kritisch zu hinterfragen.
Die Armutsgefährdung von Familien darf nicht aus dem Blick geraten. Besorgniserregend ist, wie kurz die Formel der Staatsregierung ist, um die Lebenssituation bedürftiger Familien in Sachsen zu verbessern. Da heißt es auf Seite 23: „Eine gute Wirtschafts- und Standortpolitik, wettbewerbsfähige Arbeitsplätze, Landeserziehungsgeld für einkommensschwache Eltern und ein Zuschuss zur Familienerholung für Familien mit geringen Einkommen.“
Ich sage ganz deutlich: All die benannten Aufgaben zeigen, von wie vielen Faktoren eine gute, zukunftsweisende Familienpolitik abhängt. Sachsen Familien brauchen mehr als eine wirtschaftlich orientierte Standortpolitik und zwei, drei landespolitische Familienförderungsmaßnahmen.
Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zur Großen Anfrage:
35. Sitzung des Sächsischen Landtags, 27. Mai 2016, TOP 5