Agrarstrukturgesetz: Flächenentzug bedeutet Entzug der Wirtschaftsgrundlage

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Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zur Dritten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: „Bauernland in Bauernhand – Ackerflächen schützen, Wirtschaftsgrundlage der sächsischen Landwirtschaft sichern, vielfältige Agrarstruktur erhalten“

88. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag 03.05.2024, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
meine Damen und Herren,

auf der Website vom Landesbauerverband tickt die Uhr. Die Flächenverzehr-Uhr zeigt den Verlust von wertvollem Boden in Sachsen seit 1991. Im Sekundentakt steigen die Verluste. Aktuell werden der landwirtschaftlichen Produktion 43.000 Quadratmeter Nutzfläche pro Tag entzogen.

Der Schutz von Ackerflächen ist dringend. Noch nie war der Druck auf die Flächen so hoch wie aktuell: Geplante Industrie-Großansiedlungen, Ausbau Erneuerbarer Energien, Infrastrukturvorhaben und auch neue Bergbauvorhaben: Die Flächenkonkurrenzen nehmen zu – zu Lasten der Natur, der Landwirtschaft und der wertvollen Böden.

So drohen beispielsweise durch das Industrievorsorgegebiet Wiedemar 485 Hektar der wertvollsten Böden in Nordsachsen mit teilweise 90 Bodenpunkten verloren zu gehen. Dies führt unwiederbringlich zum Verlust der Möglichkeit, auch für künftige Generationen hochwertige Lebensmittel zu erzeugen. Für die ansässigen Landwirtschaftsbetriebe bedeutet Flächenentzug den Entzug ihrer Wirtschaftsgrundlage.

Die gesamte Entwicklung spiegelt sich auch in den Preisen für Agrarflächen wider. Diese haben sich in Sachsen seit 2009 mehr als vervierfacht. Allein im Jahr 2023 belief sich der Anstieg auf elf Prozent. Neben der Umnutzung für Gewerbe und Industrie drängen zunehmend auch Finanzinvestoren, Lebensmittelkonzerne und große Versicherungen auf den Bodenmarkt. Ein knapper werdendes Gut verstärkt aufzukaufen, erscheint als lukrative Strategie. Das sehen wir weltweit auch beim knapper werdenden Trinkwasser.

Der Bauernverband warnt uns seit Jahren vor dieser Entwicklung, die sich überall zuspitzt. Auch in Sachsen sind viele Landwirtinnen und Landwirte in großer Sorge, am Bodenmarkt nicht mehr mithalten zu können und wichtige Flächen für die betriebliche Entwicklung zu verlieren. In einigen Regionen können die Landwirtschaftsbetriebe die gestiegenen Boden- oder Pachtpreise schon heute kaum noch erwirtschaften.

Die alte Forderung des Bauernverbandes „Bauernland in Bauernhand“ ist ein hochaktueller Auftrag an uns. Der Verband fordert von uns – ich zitiere:

  • den Rahmen für eine nachhaltige und generationenübergreifende Landwirtschaft zu schaffen;
  • Flächenverbrauch und Zweckentfremdungen so weit wie möglich zu begrenzen;
  • den aktiv wirtschaftenden Landwirtinnen und Landwirten einen bodenpolitischen Vorrang zu den Flächen zu sichern;
  • wettbewerbsschädigende Eigentums-Konzentrationen zu vermeiden;
  • und dem bäuerlichen Eigentum eine starke Stellung zu verschaffen.

Auf Grund dieser drängenden Aufforderung haben die sächsischen Koalitionspartner bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, die Wirtschaftsgrundlage unserer sächsischen Landwirtschaftsbetriebe zu sichern und eine vielfältige Agrarstruktur zu erhalten.

In Abstimmung mit den landwirtschaftlichen Verbänden wurde ein Gesetzentwurf erarbeitet. Das hat mehrere Jahre gedauert, weil viele unterschiedliche Interessen und Einwände in Ausgleich gebracht werden mussten. Nach vielen Verhandlungsrunden hat das Kabinett im Herbst einen ausgewogenen Entwurf beschlossen. Ich habe mir die schwierigen Diskussionen zum selben Thema in den benachbarten Bundesländern angeschaut und möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich für die zielführende Zusammenarbeit der verschiedenen Ressorts im Kabinett Kretschmer und in der Koalition bedanken – hier ganz besonders bei den Kollegen Andreas Heinz und Volkmar Winkler, die sich engagiert eingebracht haben. Das in Sachsen erreichte Ergebnis sucht deutschlandweit seinesgleichen. Es ist ein hart erarbeiteter Kompromiss, mit moderaten Eingriffen in den Bodenmarkt.

Trotzdem kommt am Ende dieses langen Prozesses der Widerstand gegen den gesetzlichen Schutz von Flächen und Betrieben aus der Landwirtschaft selbst. Denn die von vielen geforderte Bodenpreisbremse hat eben auch zur Folge, dass die eigenen Flächen nicht mehr höchstpreisig verkauft werden können. Und so bleiben die geplanten gesetzlichen Regelungen umstritten. Im Kern geht es bei der von uns heute beantragten Debatte um das Verhältnis zwischen Gemeinwohl und Eigenwohl und auf welche Seite wir bereit sind, das größere Gewicht zu legen. Es geht darum, ob wir bereit sind, den Rahmen zu sichern – für eine ökologisch, ökonomisch und sozial faire Agrarstruktur und Landwirtschaft in Sachsen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Landwirtschaftsflächen müssen zuallererst der Lebensmittelversorgung dienen. PV-Anlagen müssen vorrangig auf Gebäuden, Parkplätzen, versiegelten oder brachliegenden Flächen errichtet werden. Wenn landwirtschaftliche Flächen für Energieerzeugung genutzt werden, sollte das vorrangig im Rahmen integrierter Lösungen geschehen, die einen Mehrwert für Lebensmittelproduktion und Natur schaffen. Beispielsweise Agri-PV führt zu einem sehr geringem Flächenverlust von weniger als zehn Prozent und ermöglicht weiterhin die landwirtschaftliche Nutzung teilweise sogar mit Produktivitätsgewinnen durch verringerte Austrocknung und Erosion. Aktuell werden 14 Prozent der deutschen Agrarfläche der Lebensmittelerzeugung entzogen, weil dort Energiepflanzen angebaut werden. Mit Solaranlagen könnten diese Flächen teilweise wieder für die Lebensmittelproduktion frei werden. Denn derselbe Energieertrag wäre mit nur einem Drittel der Fläche erreichbar. Der Vorwurf, dass vor allem Solaranlagen die Lebensmittelerzeugung bedrohen, ist einfach Unsinn.

Ich will es noch einmal dick unterstreichen: Ackerflächen dürfen auch nicht ohne Weiteres für gewerbliche Zwecke oder andere Baumaßnahmen umgewandelt werden. Hier liegt eine hohe Verantwortung bei der kommunalen Ebene, weil dort über Flächennutzung und Bebauungsplanung entschieden wird. Für notwendige neue Industrie- und Gewerbeansiedlungen müssen zuerst Bestandsflächen genutzt und Brachflächen revitalisiert werden. Die Sanierung und Wiederbelebung von brachliegenden Industrieflächen muss immer Vorrang vor einer Neuversiegelungen haben. Stichwort Kompensation: Es kann nicht immer nur versiegelt, es muss auch entsiegelt werden. Es können der Landwirtschaft nicht immer nur Flächen entzogen, es müssen auch Flächen zugeführt werden. Gerade im Umfeld der Städte ist das sehr relevant: Die Innenraumentwicklung muss forciert werden, eine Ausdehnung in der Fläche ist nicht endlos möglich. Da geht es auch um die Förderung von flächensparendem Bauen oder um neue Instrumente zur Begrenzung der Flächennutzung, zum Beispiel durch handelbare Flächenzertifikate. An diesen Stellschrauben muss dringend gedreht werden. Es kann nicht sein, dass die notwendige wirtschaftliche Entwicklung immer zu Lasten der Landwirtschaft und der Natur geht. Damit sägen wir den Ast ab, auf dem wir sitzen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Sachsen ist reich an fruchtbarem Boden und landschaftlicher Vielfalt. Diese natürlichen Grundlagen sind Basis für unsere landwirtschaftliche Produktion und sichern nicht nur unsere Ernährung, sondern auch die Existenzgrundlage zahlreicher Familien, Betriebe und Gemeinden. Diese kostbaren Ackerflächen sind bedroht – durch fortschreitende Versiegelung, durch Bauvorhaben, durch Intensivierung der Landwirtschaft, auch durch den Klimawandel. Und ortsansässige Betriebe sind in Gefahr durch eine ungezügelte Markt- und Preisentwicklung, die existenzbedrohend werden kann.

Wir sind bereit, die Wirtschaftsgrundlage unserer Landwirtinnen und Landwirte zu sichern: Faire Preise, bezahlbare Pachten, Zugang zu landwirtschaftlichen Flächen, Förderung von Innovationen und Stärkung regionaler Vermarktungsstrukturen.

Ein ungeregelter Markt verunmöglicht das. Ohne einen ordnungspolitischen Rahmen wird die vielfältige Agrarstruktur unseres Bundeslandes verloren gehen – und damit auch bäuerliche Betriebe, Traditionen oder regionale Spezialitäten. Es geht um vielmehr als den Bodenmarkt. Es geht um Fragen der Identifikation mit der Region, um Verwurzelung, um das Funktionieren von Strukturen im ländlichen Raum. Wenn immer mehr Flächen für Industrie und Gewerbe verloren gehen, wenn anonyme Konzerne Flächen und Betriebe aufkaufen, verliert der Bauernverband nicht nur Mitglieder, die Gemeinden und Vereine verlieren auch ihre Kooperationspartner für das gemeinsame dörfliche Leben. Am Ende gibt es vor Ort oft nicht einmal mehr Ansprechpartner der Konzerne. In anderen Bundesländern findet diese Entwicklung bereits statt. Das wollen wir in Sachsen nicht.

Ich habe mich gefragt, wo die Ursachen für den massiven Widerstand gegen einen gesetzlichen Schutz für unsere sächsischen Landwirtschaftsbetriebe liegen.

Wenn man keinen Schutz will, könnten wir es ab sofort ignorieren, wenn bei Bauernprotesten wie Anfang des Jahres lautstark über explodierende Bodenpreise geklagt wird. Dann sollten wir alles dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte des Marktes überlassen: Keine Wettbewerbsregeln, keine Standards, keinen Schutz der einheimischen Produktion, keine Regulierung, wachsen oder weichen. „Don’t touch a running system.“ Das wurde auch so in der Anhörung gesagt. Laufen lassen, nicht eingreifen. Das regelt sich von selbst.

Wenn man aber doch einen gewissen Schutz und Regulierung wollte, nur eben nicht so, wie vom Kabinett Kretschmer vorgelegt, müsste man einen anderen Vorschlag machen. Danach habe ich in der Landtagsanhörung konkret gefragt. Die Antwort war: „Das wissen wir auch nicht, so aber auf jeden Fall nicht.“ Dann wurden eine Reihe Behauptungen zum Gesetzentwurf der Staatsregierung aufgestellt, die allesamt nicht zutreffen oder sich auf frühere Formulierungen bezogen, die längst angepasst wurden.

Oder man will es nicht, weil der Minister ein GRÜNER ist. Ich kenne die starken antigrünen Reflexe in der Bauernschaft. Am Beginn dieser Legislatur war ich auf einer Veranstaltung vom LSV auf dem Liebschützberg. Obwohl Landwirtschaftsminister Günther sein Amt gerade erst übernommen hatte, wurde er dort schon immer mal als „Totengräber der sächsischen Landwirtschaft“ begrüßt. Aber jenseits von der ganzen Wut auf die Grünen bleibt es doch sinnvoll, ortsansässigen Landwirten den Zugang zu Agrarflächen zu erleichtern. Es ist doch wichtig, die in Sachsen zum Glück noch vorhandene breite Eigentumsstreuung zu schützen. Es ist doch entscheidend, dass die Betriebe die Kauf- und Pachtpreise auch aus der Landwirtschaft heraus erwirtschaften können. Weil eine funktionierende regionale Landwirtschaft mit sicheren Einkommensperspektiven die entscheidende Voraussetzung ist, dass die ländlichen Räume stabil bleiben – hinsichtlich Lebensstandards, Arbeitschancen und Versorgung. Um all dies kämpfen wir und Wolfram Günther. Dieser Minister ist nicht Totengräber, sondern Schutzpatron der sächsischen Landwirtschaft.

Vielen Dank!

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