Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel ernst nehmen – Risikogebiete erkennen, Hitzeaktionspläne erarbeiten, Gesundheitsschutz fördern“, Drs 6/16431
90.Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 10. April, TOP 18
Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Damen und Herren,
es wird Frühling, die 20-Grad-Marke wurde bereits geknackt, die Vorfreude auf den Sommer wächst. Doch in die Freude mischt sich Sorge. Denn letztes Jahr hat Sachsen bereits den zweiten Sommer mit extremer Hitze in nur 15 Jahren erlebt. Und das war für viele kein Vergnügen, denn die lang anhaltende Hitze belastet viele Menschen gesundheitlich. Insbesondere Säuglinge, Kleinkinder, chronisch Kranke und ältere Menschen sind davon betroffen.
Klimamodelle prognostizieren, dass der Anstieg der mittleren jährlichen Lufttemperatur zukünftig zu wärmeren bzw. heißeren Sommern mit einer größeren Anzahl an heißen Tagen und Tropennächten führen wird. Tage, deren höchste Temperatur oberhalb von 30 Grad liegt, können dann häufiger, in ihrer Intensität stärker und auch länger anhaltend auftreten. 2018 waren es in Dresden, Leipzig und dem nördlichen Teil von Sachsen bereits 30 Tage mit dieser Extremtemperatur. Es gibt belastbare Hinweise darauf, dass sich künftig die maximale Lufttemperatur in Sachsen in Richtung extremer Hitze verschieben wird.
Unser Antrag fordert die Staatsregierung auf, die mit dieser offenkundigen Entwicklung einhergehenden Gesundheitsrisiken ernster zu nehmen als bisher. Untätig ist die Staatsregierung nicht. Auf mehrere Kleine Anfragen von mir listet sie eine Reihe von Aktivitäten auf, bei denen es um den Austausch von Hinweisen und Information zwischen Bund, Land und Kommunen geht. Es ist sicher auch gut gemeint, die sächsische Bevölkerung in Hitzeperioden wie 2018 per Pressemitteilung dazu aufrufen, ausreichend Wasser zu trinken, sich ein schattiges Plätzchen zu suchen und die Haut mit Sonnencreme zu schützen. Was allerdings fehlt, ist proaktive Koordination und Steuerung des Handelns bei Hitzeereignissen und konkrete Unterstützung der Kommunen und Landkreise, sich besser auf die zunehmenden Extremwettereignisse und die damit einhergehenden Gesundheitsrisiken vorzubereiten.
So werden die Risikogebiete für gesundheitliche Hitzebelastung in Sachsen eben nicht systematisch erfasst und Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit bei Hitzewellen auch nicht koordiniert. Genau dazu hat aber das Bundesumweltministerium 2017 Handlungsempfehlungen vorgelegt. Diese Handlungsempfehlungen wurden auch unter Beteiligung von Sachsen erarbeitet. Im Ergebnis hat die Staatsregierung lediglich die kommunalen Spitzenverbände angeschrieben und auf diese Handlungsempfehlungen hingewiesen. Wie gesagt, völlig untätig ist die Staatsregierung ja nicht. Aber das reicht bei weitem nicht aus.
Die WHO unterscheidet nach kurzfristigen, mittelfristigen und langfristigen Maßnahmen. Langfristig bedeutet, eine Stadt umzubauen und die Stadtplanung danach auszurichten. Mittelfristig meint zum Beispiel Hitzeaktionspläne aufzustellen. Und kurzfristig bezieht sich auf Akutmaßnahmen. Um diese zu ergreifen, müsste man allerdings mehr wissen: Sterben mehr Menschen als sonst, weil eine Hitzewelle da ist? Nach Aussage der Stadtverwaltung Dresden stieg in Dresden die Sterblichkeitsrate im Sommer 2018 an. Die Todesursachen sind natürlich unterschiedlich: Herzinfarkte, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Erkrankungen der Nieren, Erkrankungen der Atemwege, Stoffwechselstörungen. Ein Zusammenhang ist nur im durchschnittlichen Anstieg der Sterblichkeit nach extremer Hitze zu erkennen. Erhöhte Sterblichkeit tritt meist unmittelbar bis drei Tage nach dem Ereignis auf. In Italien und Frankreich kann diese sogenannte Zusatzsterblichkeit statistisch innerhalb von 48 Stunden erkannt werden. Dort werden die täglichen Sterbedaten umgehend weitergeleitet und sofort ausgewertet. Um kurzfristig die richtigen Akutmaßnahmen ergreifen zu können, sind also mittelfristige Maßnahmen zur Vorbereitung notwendig.
Durch Hitzeaktionspläne soll mittelfristig sichergestellt werden, dass gesundheitlich Beeinträchtigte im Ernstfall schnelle Hilfe bekommen können. Bürgerinnen und Bürger sollen sich unkompliziert informieren können. Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser und Alten- sowie Pflegeheime müssen im Akutfall eines Hitzeereignisses flächendeckend schnell informiert werden.
Dass gut umgesetzte Hitzeaktionspläne wirksam sind, lässt sich in der Schweiz beobachten. Die Kantone haben nach dem Hitzesommer 2003 unterschiedlich gehandelt. Das Schweizerisches Tropen- und Public-Health-Institut hat den Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Sterblichkeit für acht größere Städte in der Schweiz untersucht. Die Analysen haben gezeigt, dass sich in Städten ohne kantonale Hitzeaktionspläne nach 2003 nichts verändert hat. In Städten mit Hitzemaßnahmenplan ist das hitzebedingte Sterberisiko nach 2003 merklich zurückgegangen. Proaktives politisches Handeln kann also Menschenleben retten.
Sachsen braucht aber auch konkrete Schritte, hin zu einer langfristigen Hitzevorsorge. Wer der Hitze etwas entgegensetzen will, muss Gebäude anders bauen und Städte umgestalten. Denn zwischen den dicht bebauten Innenstadtquartieren und größeren Freiflächen in Randlagen können erhebliche Temperaturunterschiede von bis zu 10°C auftreten. Dieser damit verbundene Hitze- und Wasserstress belastet Mensch und Natur extrem. Die Kommunen stehen vor einen erheblichen Umbau- und Investitionsaufwand, um dieser Entwicklung wirksam gegenzusteuern: Grünflächen erweitern, Bäume pflanzen, Wasserflächen schaffen, Flächen entsiegeln, Dächer und Fassaden begrünen, Grüne Innenhöfe schützen, Wasserspender und Trinkbrunnen bereitstellen. Das Bund-Länder-Programm Zukunft Stadtgrün deckt nur einen Teil dieser enormen Investitionsbedarfe ab. Zudem ist sein Fortbestand ungewiss. Deshalb schlagen wir ein Landesförderprogramm „Grüne Kommunen“ vor.
Ich bitte um Unterstützung.
Schlusswort:
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
die Debatte hat gezeigt mir, dass die Koalition die Herausforderungen ebenso unambitioniert angeht, wie die Staatsregierung. Gesundheitsministerin Klepsch berichtet von einem >>ressortübergreifenden Erfahrungsaustausch zum Thema Hitzeaktionsplanung<< und bewertet unsere Forderung nach einer zentralen Koordinierung als >>nicht sachgerecht<<. Das ist kein Argument, sondern eine Ausrede. Der sporadische >>Erfahrungsaustausch<< ersetzt nicht entschlossenes politisches Handeln. Und es ist ja auch nicht falsch, eine Projektstelle zur Qualifizierung der klimatologischen Datengrundlagen im Freistaat Sachsen einzurichten, wie die Staatsregierung in der Stellungnahme zu Antrag schreibt. Allein mit dem Ziel unseres Antrages hat das nur bedingt etwas zu tun. Für die Planung und Implementierung bevölkerungsbezogener Maßnahmen während Hitzewellen müssten Sie die Kranken- und Pflegekassen, die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Landesärztekammer etc. mit ins Boot holen.
Sie wollen Gesundheitsförderung und Prävention stärken. Wir zeigen mit unserem Antrag einen Weg auf, wie Sie dieses Ziel aus Ihrem Koalitionsvertrag auch in Bezug auf klimabedingte Gesundheitsgefahren umsetzen können. Doch die Debatte heute steht erneut symptomatisch für Ihre Politik der Verschleppung und Handlungsverweigerung. Dabei zeigt gerade der Vergleich von Regionen in Europa mit und ohne Hitzeaktionsplänen im Sommer 2018: Zentrale Koordinierung und schneller Datenaustausch rettet Menschenleben.
Das Thema betrifft viele Menschen. Große Teile der Stadtbevölkerung in Sachsen werden künftig noch stärker betroffen sein. In einer Klimaumfrage der Stadt Dresden sprach sich bereits 2017 die Mehrzahl der Befragten für mehr schattige Haltestellen und Fußwege aus. Sie wollen weniger Beton, mehr Grünflächen und Fassadenbegrünung, mehr Wasserflächen und Trinkbrunnen. Auch der Wunsch nach öffentlichen Frühwarnsystemen wurde formuliert. Nehmen Sie diese Bedarfe ernst, gehen Sie auf diese Entwicklung ein, unterstützen Sie unseren Antrag.
» Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Gesundheitsrisiken durch den Klimawandel ernst nehmen – Risikogebiete erkennen, Hitzeaktionspläne erarbeiten, Gesundheitsschutz fördern“ (Drs 6/16431)