Redebeitrag zum Antrag der Fraktion DIE LINKE “Das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft achten und unterstützen!”

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

meine Damen und Herren,

Schwangerschaft ist oft mit Klischees behaftet. Natürlich ist es ein großes Glück, wenn alles wunschgemäß und ohne Komplikationen verläuft. Doch für viele Frauen sieht die Realität anders aus – wenn existenzielle Lebensgrundlagen durch ein weiteres Kind gefährdet sind, wenn Angst vor Überforderung herrscht, wenn Suchterkrankung eine Rolle spielt.

Auch eine Schwangerschaft in einem fremden Land, getrennt von der Familie und mit Sprachbarrieren ist eine besondere und schwierige Situation für geflüchteten Frauen.

Schwangerschaft ist eine hochsensible Lebenssituation, egal vor welchem Hintergrund. Frauen und Familien brauchen deshalb professionelle Beratungsangebote und zwar in einem flächendeckenden Netz und in Form einer vielfältigen Trägerstruktur.

Das sicherzustellen ist Aufgabe des Freistaates. Mit der aktuellen Förderpraxis kommt er dieser Pflicht nur unzureichend nach. Die Finanzierung der Beratungsangebote für Schwangere in Sachsen ist auf Kante genäht. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Beratungsstellen arbeiten an der Belastungsgrenze. Zwar sind nicht die Fallzahlen gestiegen, stattdessen aber der Beratungsaufwand. Die Problemlagen werden vielschichtiger und schwerwiegender. Ich habe mir bei Gesprächen mit Mitarbeiterinnen ein Bild über die veränderten Bedingungen gemacht.

Die Fraktion DIE LINKE fordert zurecht die Sicherstellung einer bedarfsgerechteren Finanzierung. Bedarfsgerecht heißt hier, der Komplexität des Beratungsprozesses und der erforderlichen Vernetzung im Hilfssystem Rechnung zu tragen. Bedarfsgerecht heißt, aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen berücksichtigen, junge Familien in schwierigen Lebenssituationen, viele Grundsicherungsempfänger, Multiproblemfamilien, die umfassende Unterstützung und vernetztes Arbeiten im Hilfssystem erfordern, die steigende Zahl junger, suchtkranker Mütter oder die besonderen Bedarfe von geflüchteten Frauen, wo allein schon bei Übersetzungsaufgaben oft die doppelte Zeit für die Beratung eingeplant werden muss.

Bedarfsgerecht heißt auch, die geänderte Situation von Trägern der sozialen Arbeit in den Blick zu nehmen. Denn auch Vereine möchten ihre Mitarbeiterinnen annähernd tarifgerecht bezahlen, sie müssen auch in Fachkräfte investieren, weil die sonst weg sind oder nicht gewonnen werden können. Da sind die aktuell in Sachsen geförderten 55.000 Euro pro Vollbeschäftigtenäquivalent im Jahr eben nicht dem Bedarf entsprechend, ebenso wie der Eigenmittelanteil in Höhe von 20 Prozent. Nur zum Vergleich: Der Freistaat Thüringen fördert ab Juli 2016 100 Prozent der Personalkosten in der Schwangerschaftskonfliktberatung.

Schwangerenberatung ist eines der Gebiete der sozialen Arbeit mit der höchsten Eigenmittelbelastung in Sachsen. Die Staatsregierung reizt hier ihren gesetzliche Spielraum voll aus. Und das, wo sich die Mehrzahl der Beratenen in schwierigen Lebenssituationen befindet und fast die Hälfte der Beratenen grundsichernde Sozialleistungen bezieht, sodass es kaum möglich ist, Einnahmen oder Spenden zu generieren.

2016 musste ein Träger, den ich besucht habe, 14 % als Eigenmittel aufbringen. 2017 werden es 16 % sein. Wo sollen gerade kleine Träger denn diesen Eigenanteil erwirtschaften?

Ich möchte nicht, dass wir zuschauen, wie die Träger dann anfangen, ihre Beratungskapazitäten abzubauen, stadtteilbezogene Prävention weglassen, kultursensible Beratung nicht mehr anbieten können, nicht mehr in den wichtigen Netzwerken “Frühe Hilfen” mitwirken und keine Angebote der Familienbildung oder Sexualpädagogik machen.

Wir unterstützen den Antrag, aber wir müssen vor allem im Hinblick auf die Beratung zum anstehend Doppelhaushalt dringend aktiv werden.

 

Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke (GRÜNE) zum Antrag der Fraktion DIE LINKE “Das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft achten und unterstützen!” (Drs. 6/4587) zur 42. Sitzung des Sächsischen Landtags, 29. September 2016, TOP 7

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