Zuerst sollte man durch bessere Rahmenbedingungen und Strukturen den Bedarf an rechtlicher Betreuung mindern

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Antrag hat das Ziel, Licht ins Dunkel der rechtlichen Betreuung in Sachsen zu bringen. Der Berichtsteil ist umfangreich, die in Punkt 2 geforderte Maßnahme noch sehr wenig konkret. Der Antrag ist nur dann sinnvoll, wenn, sobald der Berichtsteil vorliegt, die entsprechende Analyse stattfindet und daraus dann Handlungsschritte abgeleitet und entsprechend umgesetzt werden. Da wir davon ausgehen, dass auch das die Intention der Einbringenden ist, werden wir dem Antrag zustimmen.

Die rechtliche Betreuung durch Berufsbetreuer ist ein Konstrukt, das geschaffen wurde, um das Auseinanderdriften von Familien mit der fatalen Folge des „Sichnichtmehrumeinanderkümmerns“ zu kompensieren. Rechtliche Betreuerinnen und Betreuer müssen ebenso die Schwierigkeiten kompensieren, die ein immer komplexer werdender Alltag mit sich bringt. Immer häufiger wird eine rechtliche Betreuung auch bei jungen Menschen angeordnet, die mit der Bewältigung des Alltagsgeschehens überfordert sind, insbesondere wenn Kinder dazu kommen.

Stellen Sie sich doch einmal den alleinerziehenden Vater oder die alleinerziehende Mutter vor, die für vier Kinder sorgen muss. Für das eine muss ein Kitafreiplatz besorgt werden, die Übernahme der Mittagessenkosten durch das Bildungs- und Teilhabepaket muss beantragt werden; das nächste Kind braucht einen Hortfreiplatz, Nachhilfe in Mathe, finanzielle Unterstützung bei der Klassenfahrt und einen Antrag zur Übernahme der Kosten für den Gitarrenunterricht; das dritte Kind soll in die Förderschule geschickt werden, der Vater und das Kind möchten das aber nicht. An dieser Stelle muss sich der Vater noch mit der Sächsischen Bildungsagentur, der Schulleitung und dem Sozialamt auseinandersetzen. Der Große hat seine Ausbildung abgebrochen. Da schlagen die Wogen zusammen: Antragsfristen werden verpasst, das Mittagessen in der Kita wird nicht bezahlt, das Kind bekommt dann keine Mittagsversorgung mehr und so kommt eines zum anderen. Überforderung und Misserfolge sind vorgeplant. Eine rechtliche Betreuung ist dann schnell angeordnet. Das Problem ist gelöst, puh! Alle sind raus aus der Verantwortung. Das regelt jetzt der rechtliche Betreuer.

Lassen Sie mich den Vater austauschen durch eine blinde Frau oder durch einen kognitiv eingeschränkten Mann, die jeweils voll am Leben teilhaben und auf die Schwierigkeiten stoßen, die das Leben in einem hochentwickelten, schnelllebigen und nicht barrierefreien Alltag so mit sich bringt. Auch hier sind Scheitern, Frust und Fehlentscheidungen mit rechtlichen Folgen vorprogrammiert. Die Anordnung einer rechtlichen Betreuung soll dann alles wieder richten.

Doch wäre bei den eben geschilderten Beispielen eine rechtliche Betreuung nicht absolut vermeidbar gewesen, vermeidbar, wenn die Rahmenbedingungen und Strukturen besser gepasst hätten?

Ich möchte Sie also ermuntern, Ihren Blick über die rechtliche Betreuung hinaus gehen zu lassen, also Punkt 1. g) des Antrags mehr Gewicht zu geben, nämlich Maßnahmen zu ergreifen, die den Bedarf an rechtlicher Betreuung mindern.

Empfehlenswert sind z. B. gemeindenahe Anlaufstellen, die über sämtliche sozialrechtliche Ansprüche barrierefrei informieren und daneben Hilfestellung bei der Antragstellung anbieten. Damit wäre vielen geholfen und eine rechtliche Betreuung könnte vermieden oder zeitlich hinaus gezögert werden. Ebenso haben andere Bundesländer schon Wege zur Betreuungsoptimierung beschritten, die wir auch in Sachsen adaptieren könnten. Beispielhaft nennen möchte ich das Projekt BEOPS  – Betreuungsoptimierung durch Sozialleistungen – aus Mecklenburg Vorpommern. (siehe Kleine Anfrage Elke Herrmann Drs. 5/9463)

Redebeitrag es Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Antrag der Fraktionen CDU und SPD:“Betreuungsvereine fördern, ehrenamtliche Betreuung stärken” (Drs. 2799)

22. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 08. Oktober 2015, TOP 4

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