Warum ich bei den BÜNDNISGRÜNEN gelandet bin

Meine Generation wuchs im Kalten Krieg auf. Auf dem Spielplatz der Karl-Marx-Städter Plattenbausiedlung habe ich trotzdem sehr unbekümmert gespielt. Die unzähligen nuklearen Sprengköpfe, die sich quasi auf beiden Seiten des Spielplatzes gegenüberstanden, konnte ich vom Kletterpilz aus nicht sehen. Nur die Armeeuniformen von den NVA-Soldaten, die den staatlichen Kindergarten gegenüber besuchten.

Ich lebte mit meiner Schwester behütet in einem christlichen Elternhaus. In den Kindergarten gegenüber haben die Eltern uns nicht geschickt. Sie wollten uns fernhalten von sozialistischer Indoktrination. Nicht im Strom mitschwimmen – das war nicht leicht für mich als Schüler. Als Einziger kein rotes Halstuch der Thälmannpioniere, kein blaues Hemd der FDJ? Meine Schulklasse hat mich deswegen aber nicht ausgegrenzt. Als junger Christ verweigerte ich das verordnete Wehrlager. Zur „Belohnung“ durfte ich mit den Mädchen in der Schule bleiben. Dort haben wir Zivilverteidigung geübt. Also „richtiges Verhalten“ nach dem Atomschlag. Zum Atomkrieg kam es nicht, aber zu einem guten Abschlusszeugnis für mich. Meine kleine Welt in der DDR war eigentlich in Ordnung, oder?

Nein, das war sie nicht. Ich will es rückblickend auch nicht schönreden: Sich nicht mit dem System zu arrangieren, hatte negative Folgen. Der Weg zum Abitur blieb verwehrt. Ich spürte die vielen Grenzen innerhalb der DDR. Und unmittelbar vor meinen Augen fand eine dramatische Umweltzerstörung statt: Abgestorbene Wälder im Erzgebirge, stinkende Kohleindustrie im Südraum Leipzig, Giftschaum auf praktisch toten Flüssen. Spätestens am 26. April 1986 – es reicht, das Datum zu googeln – war mir endgültig klar, dass ich all diesen bedrohlichen Entwicklungen nicht einfach nur zuschauen kann.

Im geschützten Raum der Kirche konnte ich mich mit anderen darüber austauschen. Ich bestellte mir Unterlagen vom christlichen Friedensseminar Königswalde, fuhr zu Ökocamps nach Rötha, engagierte mich in der kirchlichen Jugendarbeit, verteilte Flugblätter für freie und geheime Wahlen, gründete eine Kriegsdienstverweigerungsgruppe, mobilisierte zu Demos “Mobil ohne Auto”.

All das führte unweigerlich zur Überwachung durch das MfS. Fünf informelle Mitarbeiter aus meinem Bekannten- und Freundeskreis notierten akribisch jeden Gedanken, den ich unbedarft äußerte. Sie sollten den Nachweis führen, dass ich Pläne und Absichten verfolge, „Jugendliche im Sinne politischer Untergrundtätigkeit zu beeinflussen“. Unterstellt wurden mir feindlich-negative Aktivitäten gegen die DDR. Meine Eltern wollten mich immer davor bewahren, in Konflikt mit den Staatsorganen zu geraten. Sie kannten die Konsequenzen. Aber ich wollte nicht in der christlichen Nische bleiben. Ich wollte, das gerade Kirche sich traut, öffentlich auf die Missstände im Land hinzuweisen. So stieß ich als Jugendlicher an die Grenzen innerhalb des Staates, habe wenig Perspektiven für mein Leben in dem autoritären System der DDR gesehen.

Die christliche Motivation trat mehr und mehr in den Hintergrund. Geblieben ist das Aufbegehren gegen Umweltzerstörung, Ungerechtigkeit, staatliche Willkür und Überwachung. Den Fall der Mauer erlebte ich als enorme Befreiung. Denn es fielen auch all die Mauern, die Denken, Reden, Kultur, freie Meinungsäußerung und persönliche Entwicklung blockierten. In der Rückschau ist es fast logisch, dass ich mit dieser Biographie gleich nach der Wende bei den GRÜNEN landete – so wie einige andere aus kirchlichen Friedens- und Umweltgruppen der DDR auch.

Heute sind es wieder Jugendliche, die gegen globale Umweltzerstörung in Rebellion geraten. Egal wo sie später mal landen – sie gilt es jetzt zu unterstützen, ihnen Rückhalt zu geben und all denen entgegenzutreten, die sie klein machen, diskreditieren und demütigen.

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