Heute vor 24 Jahren hat der Stadtrat Chemnitz einen Beschluss gegen Müllverbrennung gefasst. Diesem politischen Bekenntnis ging damals ein von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstütztes erfolgreiches Bürgerbegehren gegen Müllverbrennung voraus. Die Chemnitzerinnen und Chemnitzer wollten keine Müllverbrennung in der Stadt.
Doch schon damals gab es Streit im für den Abfall zuständigen Abfallwirtschaftszweckverband Chemnitz (AWVC). Denn die anderen Verbandsmitglieder aus Mittelsachsen und dem Erzgebirge sahen sich nicht an den Chemnitzer Bürgerwille gebunden. Zumindest für die Restabfallmengen aus der Stadt Chemnitz sollte eine thermische Restabfallbehandlung ohne vorherige mechanische und biologische Behandlung zur Gewinnung von Wertstoffen ausgeschlossen bleiben. So hat es der Stadtrat jedenfalls am 4.10.2000 ohne Gegenstimmen beschlossen. Im Ergebnis der Kompromisssuche entstand damals die Restabfallbehandlungsanlage (RABA) am Weißen Weg, die den Restabfall aus dem Verbandsgebiet für eine stoffliche Nutzung – die Methanol-Herstellung – aufbereitete.
Das alles ist über 20 Jahre her. Die Methanol-Erzeugung aus Restabfällen in Spremberg ist lange eingestellt. Die Sortierreste aus der RABA wurden mehrfach optimiert – für Verbrennungsprozesse bei der Zementherstellung oder für eine Mitverbrennung in der Braunkohle. Inzwischen landet Chemnitzer Restabfall in einer Müllverbrennungsanlage in Sachsen-Anhalt.
Mit der Neuvergabe der Entsorgungsleistung für die Restabfälle des AWVC stellte sich die Frage, welche Auswirkung die alte Beschlusslage des Chemnitzer Stadtrates auf die Entscheidung des Verbandes hat. Erneut wurde im Verband der Chemnitzer Wille überstimmt. Das ohne Vorbehandlung ausgeschrieben wird, ist inzwischen faktisch beschlossene Sache: Am 29.06.2021 wurden durch die Verbandsversammlung die Ausschreibungsmodalitäten für Restabfall beschlossen. Die Stadt Chemnitz votierte entsprechend der Beschlusslage aus dem Jahr 2000 für eine Vorbehandlung des Abfalls, wurde aber erneut von den Landkreisen Mittelsachen und Erzgebirgskreis überstimmt. Es wurde mehrheitlich aus wirtschaftlichen Gründen die Variante der unbehandelten Entsorgung des Restabfalls beschlossen.
Auf diese Aussschreibung hin entwickelt nunmehr die Eins Energie Sachsen eine Verbrennungsanlage für den Müll aus dem Verbandsgebiet mitten in der Stadt Chemnitz. Diese scheinbar billigste Variante könnte sich aber spätestens dann zu einer Kostenfalle entwickeln, wenn durch Überkapazitäten diese Anlage nicht mehr wirtschaftlich ausgelastet ist. Im nacholgenden Text werden die Konfliktfelder näher beleuchtet, die sich zwischen den Zielen der Abfallvermeidung und der energetischen Nutzung von Abfällen entwickeln.
1. Abfallmengen, Verwertung und Entsorgung in Sachsen
Eine verlässliche Datengrundlage für die Beurteilung der Abfallmengen, Verwertung und Entsorgung in Sachsen bieten der Kreislaufwirtschaftsplan Sachsen und die jährlichen Siedlungsabfallbilanzen. Diese Zahlen sind entscheidend für die Diskussion über die Kapazitäten von Abfallbehandlungsanlagen und die zukünftige Entwicklung der thermischen Abfallbehandlung in der Region. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass die Restabfallmengen in den kommenden Jahren weiter sinken werden, was auch Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit bestehender und geplanter Anlagen haben könnte.
2. Planungen zu Müllverbrennungsanlagen
Abfälle geraten zunehmend für die energetische Nutzung in der Kommune ins Visier. Das Argument ist: Bevor sie in die Müllverbrennung nach Lauta oder Sachsen-Anhalt gefahren würden, mache eine thermische Verwertung vor Ort zur Deckung des lokalen Energiebedarfes doch viel mehr Sinn und vermeide zudem unnötige Transporte. Hier entwickeln sich Zielkonflikte zwischen Verbrennungsanlagen, die einen Mindestumsatz für den wirtschaftlichen Betrieb brauchen und den Zielen der Abfallvermeidung.
Aktuell sind zwei Planungen von thermischen Abfallbehandlungenlagen bzw. Ersatzbrennstoffkraftwerken in Sachsen bekannt: in Chemnitz und in Dresden. Bei beiden handelt es sich um Initiativen von den kommunalen Energieversorgern – und nicht von den für die Abfallentsorgung verantwortlichen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern. Das Ziel beider Projekte liegt offenbar stärker in der Energiegewinnung als in der Abfallentsorgung.
Der im November 2023 in Sachsen beschlossene Kreislaufwirtschaftsplan weist keinen Anlagenbedarf an Restabfallbehandlungsanlagen für Sachsen aus, weil nach längerer Diskussion über eine Autarkie für Restabfälle eine politische Einigung dahingehend erfolgte, dass für die Restabfallbehandlung das Prinzip der Nähe gelten soll, aber nicht das Autarkieprinzip. Das bedeutet, dass sich die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger vorrangig der Anlagen im Freistaat Sachsen und in benachbarten Bundesländern bedienen sollen, aber nicht auf Anlagen im Freistaat Sachsen beschränkt sind. In den benachbarten Bundesländern (insbesondere in Sachsen-Anhalt) gibt es ausreichend Kapazitäten zur thermischen Behandlung von Restabfällen. Entsprechend äußerte auch der Ehrenvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft, Herr Thomas Obermeier, bei seinem Vortrag zum Stakeholder-Dialog Kreislaufwirtschaft am 9. Februar 2023 in Dresden, dass in Deutschland bis zum Jahr 2035 ausreichend Kapazitäten zur thermischen Behandlung von Restabfällen bestehen, so dass jede weitere Restabfallbehandlungsanlage die Anstrengungen zur Kreislaufwirtschaft behindere. Sein Fazit: In Sachsen sollten Kommunen möglichst keine neuen Verbrennungsanlagen bauen.
Derzeit werden etwa zwei Drittel der in Sachsen erzeugten Restabfälle in sächsischen Anlagen entsorgt. Nach der voraussichtlichen Schließung der Restafallbehandlungsanlage Chemnitz (Weißer Weg) Mitte 2025 werden nur noch die Hälfte der in Sachsen erzeugten Restabfälle in sächsischen Anlagen entsorgt werden. Die Thermische Abfallbehandlung Lauta ist weitgehend abgeschrieben. Für die Errichtung neuer thermischer Abfallbehandlungsanlagen werden hohe Investitionskosten erwartet.
Die Verbrennungsanlage in Chemnitz ist mit einem Mindesjahresumsatz von 150.000-200.000 Tonnen geplant. Unter dieser Menge wird der Betrieb unwirtschaftlich. In der Stadt Chemnitz fielen aber im Jahr 2022 nur insgesamt ca. 30.000 Tonnen Restabfall aus privaten Haushalten und Kleingewerbe an. In der Stadt Dresden wurden 2022 auch nur insgesamt ca. 72.000 Tonnen Restabfall aus privaten Haushalten und Kleingewerbe erzeugt. In den nächsten Jahren wird mit zurückgehenden Restabfallmengen gerechnet. Die in Chemnitz und Dresden anfallenden Restabfallmengen reichen somit absehbar nicht aus, um einen wirtschaftlichen Betrieb von zwei neuen thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Sachsen zu gewährleisten (noch nicht mal für eine!), so dass andere Abfallströme (Abfälle aus der Vorbehandlung von Gewerbeabfällen und Klärschlämme oder Abfälle aus anderen Gebieten) akquiriert werden müssten. Schon bei der Frage, wer künftig beispielsweise den Restabfall aus Mittelsachsen behandelt, wird deutlich, dass zwei Anlagen in Sachsen sich kannibalisieren würden. Im westsächsischen Raum wird der erwartbare Kampf um den Müll durch Pläne eines Müllkraftwerkes in Gera (Thüringen) verschärft. Hohe Anlagenkosten bei zu geringem Umsatz können am Ende auch zu steigenden Abfallgebühren führen.
3. Rechtliche Rahmenbedingungen
Es gibt keine rechtlichen Instrumente, die Errichtung von thermischen Abfallbehandlungsanlagen zu verhindern. Thermische Abfallbehandlungsanlagen werden nach Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigt. Dabei muss nicht der Bedarf für die Anlage nachgewiesen werden, sondern die Behörde muss eine Genehmigung erteilen, wenn der Antragsteller alle Genehmigungsvoraussetzungen nach § 5 BImSchG erfüllt sowie die Belange des Arbeitsschutzes erfüllt sind und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Das heißt: Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Genehmigung, wenn er die o.g. Voraussetzungen erfüllt. Das Abfallrecht hat auch keine Instrumente zur Vermeidung der Genehmigung von Überkapazitäten bei der thermischen Abfallbehandlung. Allein für die Genehmigung von Deponien hat der Gesetzgeber eine solche Möglichkeit geschaffen. Nach dieser Einschätzung kann erwartet werden, dass am Ende möglicherweise thermische Abfallbehandlungsanlagen in Sachsen errichtet werden – aus Gründen der Energie- bzw. Wärmegewinnung. Im Wärmeplanungsgesetz hat der Bundestag zudem im Jahr 2023 beschlossen, dass die Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen als erneuerbare Energie eingestuft wird.
4. Engagement im Stadtrat Chemnitz
Trotz mehrerer Initiativen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Stadtrat Chemnitz, die auf Alternativen zur Müllverbrennung setzen, blieben diese Bemühungen weitgehend ohne Unterstützung. Seit 2020 wurden drei Anträge eingereicht, die sich gegen den Bau neuer thermischer Abfallbehandlungsanlagen richteten und stattdessen auf nachhaltigere Lösungen hinwiesen. Diese Anträge fanden jedoch keine Mehrheit im Stadtrat:
- 2020: Antrag zur Verhinderung eines „Roll-backs in die 90er-Jahre“ in Bezug auf Müllverbrennungsanlagen
- 2022: Antrag zur Restabfallbehandlung (Keine thermische Verwertung ohne Vorbehandlung
- 2024: Antrag zur Vermeidung von Risiken für die Abfallgebühren durch geplante Müllverbrennungsanlagen
Obwohl die Presse umfangreich über die Aktivitäten berichtete und verschiedene Informationsveranstaltungen u.a. von Bernhard Herrmann, MdB, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN organisiert wurden, gab es bislang keine entscheidenden Fortschritte und die Energieversorger halten weiter an den Neubauplänen fest.
Fazit
Die Situation der thermischen Abfallbehandlung in Sachsen ist komplex und von verschiedenen Interessen und Zielkonflikten geprägt. Einerseits gibt es ausreichend Kapazitäten in bestehenden Anlagen, andererseits wird die energetische Nutzung von Abfällen zunehmend als Lösung für lokale Energieprobleme angesehen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen bieten nur begrenzte Möglichkeiten, den Bau neuer Anlagen zu verhindern, selbst wenn Überkapazitäten drohen. Gleichzeitig bleibt der Einsatz für nachhaltigere Alternativen zur Müllverbrennung bisher erfolglos, was die Dringlichkeit weiterer Diskussionen und politischer Entscheidungen unterstreicht.