Volkmar Zschocke: Sachsen steht am Scheideweg

Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Stanislaw Tillich
18. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. September 2015

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,

Frau Petry, ein Journalist hat diese Rhetorik, die sie heute hier wieder gezeigt haben, treffend als „Lunte legen und abwarten“ beschrieben. Genau diese Rhetorik brauchen wir in der aktuellen Situation nicht.

Sachsen steht am Scheideweg: ja zu dieser großen Herausforderung zu sagen und diese gemeinsam, offen und positiv zu gestalten – auch die Schwierigkeiten und Konflikte die damit verbunden sind. Oder mit Fremdenfeindlichkeit, Abwehr, Nein-zum-Heim-Initiativen und rassistischen Angriffen das Bundesland so ins Abseits zu drängen, das Migranten, Unternehmen, Fachkräfte oder Touristen am liebsten einen Bogen drum machen.

Herr Tillich, Ihr Appell an die Herzen der Sachsen, an das gemeinsame Helfen, an die gemeinsame Anstrengung für Mitmenschlichkeit klingt gut. Doch dieser Appell hat unmittelbare Konsequenzen für das Handeln der sächsischen Regierungskoalition in ihrer Gesamtheit:

Die erste Konsequenz heißt:
Umschalten vom hektischen Reagieren, von ad-hoc-Unterbringungen ohne vorherige Ankündigung hin zu vorausschauendem, planvollen Handeln
für eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen.

Seit Jahren ist sichtbar, dass weltweite Fluchtbewegungen zunehmen. Jeder wusste, dass die BAMF-Prognosen immer durch die Realität weit übertroffen wurden. Seit über einem Jahr mahnen wir an, dass Sachsen sich endlich darauf einstellt. Aber die Staatsregierung hat immer noch keinen Plan. Die kürzlich vorgestellten Kapazitäten zur Erstaufnahme enthalten zwar endlich eine Kapazitätsreserve, doch sie greifen frühestens 2017. Im Moment befinden sich 80 Prozent der Flüchtlinge zur Erstaufnahme in provisorischen Notunterkünften, zum Teil unter unwürdigen Bedingungen und der Winter steht bevor.

An dieser Planlosigkeit haben Ihre wohlklingenden, richtigen und klaren Worte, Herr Tillich, zunächst wenig geändert.
Und ich mache mir wirklich Sorgen, dass manch‘ Bürgermeister diese Worte in dieser Situation als Hohn empfindet. Denn alle Bemühungen der Kommunen um sensible Standortauswahl und um rechtzeitige Bürgerinformation werden mit einem Schlag zerstört, wenn von der Landesdirektion nach wie vor Massenunterkünfte angemietet werden, ohne den Kommunen auch nur eine Chance zu geben, sich auf diese Situation vorzubereiten, wie jetzt erst wieder in Chemnitz oder Mittweida.

Wir können alle dankbar und heilfroh sein, dass die Bevölkerung in Sachsen die Folgen dieses kontraproduktiven Managements mit so großer, spontaner Hilfsbereitschaft zu kompensieren versucht. Nicht viele Flüchtlinge, sondern Intransparenz und unabgestimmtes Vorgehen sind die größte Belastung für die Kommunen!

Die zweite Konsequenz heißt:
Schluss mit dem PEGIDA-Verständnis.
Schluss mit der Verharmlosung von Rechtsextremismus.

Das vorletzte Wochenende in Heidenau war der Höhepunkt einer Serie von rassistischer Gewalt gegen Menschen. Da ist ein Damm gebrochen, völlig entgrenzter Hass brach sich Bahn – regelrechte Sturmangriffe mit Flaschen, Böllern und Steinen.

Ich gebe Ihnen recht Herr Tillich:
Wer da immer noch von „besorgten Bürgern“ oder „Asylkritikern“ spricht, hat die große Gefahr nicht verstanden. Da sind Menschen unterwegs, die keine Institutionen mehr akzeptieren, die sich auf ein Selbstverteidigungsrecht gegen Staat und Politik berufen, die den Bürgerkrieg ausrufen und zur Selbstbewaffnung schreiten. Eine regelrechte Pogromstimmung zieht da auf wir müssen jetzt alles dafür tun, Pogrome zu verhindern.

Die Ursachen für diese Eskalation sind offensichtlich:
Zu lange Verständnis für PEGIDA.
Zu lange Schönreden, Relativieren oder Ignorieren.
Zu langes Schweigen der Mehrheit.
Wer rassistische Stimmung und entfesselten Hass nicht in seiner Stadt haben will, muss sich jetzt selber laut und sichtbar dagegen stellen und Solidarität mit Flüchtlingen zeigen.

Ja, die vielen Fragen der Bürger müssen gestellt und beantwortet werden. Ja, die Kommunen sollten weiter darauf bestehen, eher und besser informiert zu werden. Aber niemand sollte Rassisten und Nazis in seiner Stadt gewähren lassen oder gar noch Beifall klatschen!

Alle, die 1989 mit auf der Straße waren dürfen nicht länger hinnehmen, dass die rechten „Wir sind das Volk“ – Schreihälse sich auf den zentralen Demoruf von damals beziehen. Mit jeder Grölparade vor einer Flüchtlingsunterkunft zerstören die ein Stück von der Gesellschaft, für die wir ’89 gekämpft haben.

Die dritte Konsequenz heißt:
Die Ausgrenzungs- und Abschottungsrhetorik beenden, denn Willkommenskultur beginnt bei der Sprache der politischen Verantwortlichen.

Alle Aussagen zu Asyl haben derzeit eine enorme öffentlichen Wirkung: Vorschläge wie Taschengeldkürzungen, Abschiebelager, Grenzkontrollen, Gefängnisaufenthalt für Menschen ohne Dokumente, Sondereinheiten gegen kriminelle Asylbewerber und auch die Aussage, der Islam gehöre nicht zu Sachsen wirken – unabhängig von ihrem inhaltlichen Gehalt – ab- und ausgrenzend.
Sie verstärken Ressentiments. Sie treiben die Menschen in die Arme von PEGIDA.

Herr Tillich spricht zwar inzwischen eine Willkommenssprache. Aber die CDU-Fraktion hier im Landtag sendet nach wie vor Signale, Flüchtlinge von Sachsen fernzuhalten. Herr Kupfer schreckt nicht einmal vor der Idee zurück, zum Zweck der konsequenten Abschiebung
Flüchtlingsfamilien auseinanderzureißen.
Herr Tillich, Sie haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn einige CDU Funktionäre weiter kräftig in das Horn des PEGIDA-Populismus blasen!
Wir brauchen eine Sprache aller Verantwortlichen, die die enormen Herausforderung ernst nimmt, aber dabei keine Ängste und Ablehnung schürt! Die vierte Konsequenz heißt: Keine Kapitulation vor Gewalttätern.

Es ist schlimm genug, wenn Menschen, die vor brutalem islamistischen Terror fliehen hier als erstes von gewaltbereiten Nazis begrüßt werden. Unerträglich, wenn dann der Rechtsstaat vor diesen Gewalttätern kapituliert. Auch hier sind Ihre Worte klar und deutlich, Herr Tillich.

Nach den Ausschreitungen in Heidenau kündigte die Staatsregierung ein starkes Zeichen des Rechtsstaates an. Kurz darauf den polizeiliche Notstand auszurufen war das Gegenteil von einem starken Zeichen.

Ich war bei den Ausschreitungen in Heidenau vor Ort. Ich bin nach wie vor schockiert, wie so wenige Polizeibeamte regelrecht ins Feuer geschickt wurden. Im Einsatz sei aber alles gewesen, was zusammengekratzt werden konnte, sagt Polizeipräsident Kroll.

Diese Sicherheitsgefährdungen durch den fortgesetzten Stellenabau bei der Polizei verantworten auch Sie, Herr Tillich!
Ausbaden müssen das die Beamten, die angegriffen und verletzt wurden. Das sind alles andere als „verdächtig gute Jobs“.

Und der Versuch, im Zuge dieses verantwortungslosen Stellenabbaus auch noch die Versammlungsfreiheit zu opfern, ist völlig inakzeptabel.

Herr Tillich, wenn Sie über die Stärke der sächsischen Demokratie reden wollen, dürfen Sie die fundamentale Schwächung eines zentralen Elementes der Demokratie – und nichts anderes ist die Versammlungsfreiheit – hinnehmen!

Die Demokratie und ihre Grundwerte müssen stärker bleiben als gewaltbereite Nazis, sonst haben wir verloren.

Herr Tillich, als Regierungschef sind Sie in der vollen Verantwortung für das Handeln Ihrer Staatsregierung.
Deswegen möchte ich Ihnen zu Ihrem Innenminister etwas sagen.

Ich habe Herrn Ulbig vor vielen Jahren kennengelernt. Er sprach als Bürgermeister auf unserem Parteitag in Pirna. Sein couragiertes Auftreten gegen die Neonazi-Szene in der Sächsischen Schweiz hat damals nicht nur mich sehr beeindruckt.

Als Innenminister ist sein Ruf inzwischen erheblich ramponiert. Seine öffentliche Akzeptanz sinkt. Beim Willkommensfest in Heidenau erlebte ich, wie er äußerst aggressiv beschimpft und beleidigt wurde. Wie er ausgebrüllt – und das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen – auf völlig inakzeptable Weise regelrecht vertrieben wurde.

Diese Situation zeichnet aber auch ein bedenkliches Bild vom Zustand der Koalition:
Die Regierung Tillich/Dulig übt den öffentlichen Schulterschluss und hält gleichzeitig einen Innenminister, der eigentlich nichts mehr zu sagen hat, aber auf dem jedes neues Desaster abgeladen werden kann. Und alle Welt darf sein Scheitern besichtigen.

Herr Tillich, Herr Dulig, Sie müssen aufpassen, dass das Innenministerium nicht weiter zum Buhmann Sachsens verkommt.

Vielen Dank!

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