Verkehrssicherung und “Sanitärhieb” als Vorwand für großflächige Holzernte im Schutzgebiet bei Lichtenwalde?

Holzeinschläge in geschützten Wäldern nehmen leider zu. Diese werden oft als “Sanitärhiebe” bezeichnet. Begründet werden solche Fällarbeiten häufig mit Baumschäden durch Trockenheit, Sturm und Schädlingsbefall. Auch im Bereich der geschützten Hangwälder im Zschopautal bei Lichtenwalde gibt es nach drei Jahren Trockenstress erhebliche Schäden. Aber rechtfertigen diese die aktuell stattfindende massive Abholzung ganzer Flächen im Gebiet? Und sind solche großflächigen Holzeinschläge ohne ausreichende Prüfung der Verträglichkeit in einem FFH-Gebiet (Schutzgebiet gemäß Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie) überhaupt zulässig?

Ich war in den vergangenen Wochen mehrfach vor Ort, habe mir ein eigenes Bild von den Arbeiten im Wald gemacht, habe mit Vertretern von Kreistag und Naturschutz sowie mit Anwohnerinnen und Anwohnern gesprochen und Akteneinsicht genommen. Insgesamt erhärtet sich bei mir der Eindruck, dass die aktuell stattfindenden großflächigen Rodungen nur wenig mit genehmigten Einzelstamm-Entnahmen und Sanitärhieben zu tun haben. Die Ziele und Absichten, die der Waldeigentümer mit der gesamten Maßnahme verfolgt, bleiben schwer verständlich. Angesichts der dramatischen Eingriffe in die geschützten Biotope halte ich zudem eine juristische Überprüfung des gesamten Vorgangs für angezeigt. Denn die Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete kann gemäß § 329 Strafgesetzbuch eine Straftat darstellen.

Vorwand: Verkehrssicherung

In der Presse und im Fernsehen argumentiert der Waldeigentümer offensiv mit seinen Pflichten zur Verkehrssicherung. Ich kann diese Sorge zumindest im Zusammenhang mit der Straße und Gebäuden, die unmittelbar am Hang stehen, nachvollziehen. Aber ansonsten verstehe ich diese Argumentation nicht. Es gibt keine Verkehrssicherungspflicht für Gefahren durch kranke oder absterbende Äste oder umgestürzte und umsturzgefährdete Bäume in Schutzgebieten. Wer solche Gebiete betritt, tut dies auf eigene Gefahr. Lediglich an Wegen oder Straßen gibt es Pflichten zur Sicherung. Öffentlich gewidmete Wege gibt es im Gebiet aber so gut wie keine. Welchen Einfluß die Augustusburg/Scharfenstein/Lichtenwalde Schlossbetriebe gGmbH bei den offensiven Forderungen zur Verkehrssicherung nimmt, weiß ich nicht. Fakt ist, dass vom Parkplatz an der Zschopau seit Jahren ein beliebter Pfad zum Schloss Lichtenwalde mitten durch das Naturschutzgebiet führt.

Unklar bleibt auch der Umgang mit der Prüfung, ob die Maßnahmen in einem FFH-Gebiet verträglich sind. In einem Urteil zu Waldarbeiten im Auwald Leipzig hatte das Oberverwaltungsgericht Bautzen im Jahr 2020 festgestellt, dass durch Forstarbeiten eine erhebliche Beeinträchtigung von Schutzgütern in einem FFH-Gebiet nicht ausgeschlossen werden kann und deshalb eine FFH-Verträglichkeitsprüfung unter Beteiligung der Naturschutzverbände notwendig ist. Eine solche Prüfung ist aber im vorliegenden Fall nicht aktenkundig. Ob, wie und in welchem Umfang die Verträglichkeit im Vorfeld geprüft wurde, hat sich mir bei der Befassung mit dem Thema nicht erschlossen. Ich kann mir auf jeden Fall nicht vorstellen, dass die nunmehr erfolgten Eingriffe ohne gravierende Auswirkungen auf die geschützten Arten und Lebensräume bleiben bzw. überhaupt jemals wieder ausgeglichen werden können.

Weitere Fragen

Unverständlich bleibt mir auch der Zeitpunkt der Waldarbeiten. Aus dem Naturschutzrecht ergibt sich, dass Baumfällarbeiten nur außerhalb der Brut- und Aufzuchtzeit der Vögel von September bis Ende Februar durchgeführt werden dürfen. Ausgenommen sind hier dringende Fälle der Verkehrssicherung und Waldarbeiten. Dennoch ist überhaupt nicht zu verstehen, warum die großflächigen Abholzungen gerade jetzt mit der beginnenden Brutzeit stattfinden.

Im Stadtrat Chemnitz habe ich mich schon vor Jahren dafür stark gemacht, dass Arbeiten im öffentlichen Grün und im Wald vor Beginn transparent erklärt und begründet werden. Dies wird inzwischen sehr gut mit Presseankündigungen und Informationen im Amtsblatt praktiziert. Daher kann ich dem benachbarten Landkreis nur raten, gerade in solchen öffentlich beliebten und sensiblen Gebieten wie dem Areal in Lichtenwalde, alle Entscheidungen proaktiv, verständlich und transparent zu erklären und zu begründen. Und zwar rechtzeitig VOR Beginn der Arbeiten. Insofern begrüße ich die aktuellen Anfragen der BÜNDNISGRÜNEN Kreistagsfraktion Mittelsachsen. Hier muss dringend Licht in das Geflecht der verschiedenen Zielstellungen und Interessen, die Entscheidungszusammenhänge und die Verantwortung der Forst- und Naturschutzbehörden bei Genehmigung und Aufsicht gebracht werden. Angesichts des bereits entstandenen Schadens kann ich nur empfehlen, die Waldarbeiten bis zu dieser öffentlichen Aufklärung nicht auszuweiten.

Nach oben
Skip to content