Heute Abend war Geralf Pochop zu Gast im Lern- und Gedenkort Kaßberg-Gefängnis und erzählte aus seinen rebellischen Jugendjahren in der DDR. Über zwei Stunden nahm er die Gäste mit in sein bewegtes Leben als Punk. Es waren so viele gekommen, dass wir uns auf zwei Etagen verteilen mussten.
Eindrucksvoll schilderte er die Verfolgung durch die Stasi, die Angriffe aus der Naziszene, die es auch in der DDR gab und wie die Kirche ein Schutzraum für Menschen war, die in Auflehnung gegen das System lebten oder einfach nur ihren eigenen Stil jenseits des sozialistischen Anpassungsdrucks ausdrücken wollten. Für meine Generation war es auch Reflexion eigenen Erlebens, für die jüngeren Gäste ein sehr ergreifender Einblick, welchen menschenverachtenden Repressionen unangepasste Jugendliche in der DDR ausgesetzt waren.
1983 gab es vom Chef der Staatssicherheit Erich Mielke eine radikale Kampfansage an die auch in der DDR gelebte Punk-Kultur. Für den Wehrdiensttotalverweigerer und Hausbesetzer Pochop endete das in politischer Haft. Sein Verbrechen bestand darin, Punkmusik zu hören und gefärbte Haare zu haben. Unter großen Ängsten, aber mit großer Entschlossenheit widerstand er mehreren bedrohlichen Anwerbungsversuchen der Staatssicherheit, die auch in der Punks-Szene überall ihre Spitzel hatte.
Ich fühlte mich erinnert an meine Zeit in der sozialdiakonischen Jugendarbeit der Stadtmission in Karl-Marx-Stadt, an den Punk-Treff in der Pauli-Kreuz-Kirche und manche lauten Konzerte in Kirchen, die nicht immer auf Begeisterung bei den Gemeindemitgliedern stießen. Weil ich fünf Jahre jünger bin, überlebte ich die Diktatur weitgehend schadlos. Pochop berichtete hingegen von Weggefährten, die bis heute den Blick in seine Bücher bzw. in die eigene Vergangenheit scheuen, weil die Erlebnisse bei Verhaftungen oder in den Stasigefängnissen massiv traumatisiert haben und oft bis heute nicht aufgearbeitet sind.
Geralf Pochop hat einen Weg gefunden, über die schlimmen Erlebnisse zu schreiben und zu erzählen. Trotz seelischer und auch körperlicher Verletzungen beschreibt er diese Zeit mit dem Selbstbewußtsein, dass er trotz Diskriminierung, Verfolgung und willkürlicher Inhaftierung sich freier als alle anderen in der DDR gefühlt habe. Seine Bücher, Veranstaltungen und Ausstellungen sind ein starkes Plädoyer gegen autoritäres und diktatorisches Denken und Handeln. Damit richtet er nicht nur den Blick zurück, sondern auf unsere gemeinsame Verantwortung, Diktatur in unserem Land nie wieder zuzulassen und entschlossen gegen jede Form von Diskriminierung und Abwertung von Menschen anzukämpfen.