Tierschutz Verbandsklagerecht − Zschocke: Verbandsklagerecht hebt rechtliches Ungleichgewicht auf, schafft Rechtssicherheit und treibt das Staatsziel Tierschutz voran

Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Sächsisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (Sächsisches Tierschutzverbandsklagegesetz – SächsTVG)“

Sitzung des Sächsischen Landtags, 14. Dezember, TOP 4

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

Tiere sind unsere Mitgeschöpfe. Dieser Gedanke hat mich als junger Mensch bei meinem Engagement in der kirchlichen Umweltbewegung in der DDR geprägt. Ich stelle das vorweg, weil viele hier im Haus sich bei ihrem politischen Handeln auf christliche Ethik berufen.

Aber Tierschutz ist nicht nur eine ethische Frage. Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Im deutschen Rechtssystem kann aber nur klagen oder Widerspruch in einem Verwaltungsverfahren einlegen, wer in seinen eigenen Interessen berührt ist. Das ist ausschließlich bei den Tiernutzern der Fall. So kann etwa ein Wissenschaftler gegen die Ablehnung von Tierversuchen klagen, weil er sich in seinem Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit verletzt fühlt. Ein Tierschutzverband kann in Sachsen aber nicht zum Beispiel gegen die Durchführung unverhältnismäßiger Tierversuche klagen.

Eine Klage gegen ein vermeintliches Zuviel an Tierschutz ist also zulässig, nicht aber eine Klage gegen ein Zuwenig an Tierschutz. Genau dieses Ungleichgewicht hat eine Durchsetzungsschwäche des Tierschutzes in der Praxis zur Folge. Deshalb ist ein Klage- und Mitwirkungsrecht für Tierschutzverbände eine notwendige Konsequenz, wenn wir einen wirkungsvollen Schutz für Tiere erreichen wollen.

Bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz, zum Beispiel wenn Behörden die Einhaltung des Tierschutzgesetzes nicht durchsetzen und Missstände in der Tierhaltung dulden, können die davon betroffenen Tiere selbst nicht klagen. Ohne ein Verbandsklagerecht haben Tierschutzverbände dann nur die Möglichkeit, Anzeigen zu erstatten. Diese Verfahren werden jedoch häufig eingestellt.

Anerkannte Tierschutzverbände müssen das Recht erhalten, das Verhalten der Behörden bei der Einhaltung und Umsetzung des Tierschutzgesetzes zu kontrollieren und im Zweifel den Tierschutz auch mittels einer Verbandsklage durchsetzen zu können.

Eine bundesweit einheitliche Regelung für die Verbandsklage im Tierschutz, so wie wir sie 2016 im Bundestag eingebracht haben, ist zwar nicht in Sicht. Aber viele Bundesländer haben dieses Recht längst geschaffen: Baden-Württemberg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie Schleswig-Holstein. Wir GRÜNEN unternehmen heute den erneuten Anlauf, ein Tierschutzverbandsklagegesetz auch in Sachsen einzuführen.

Mit dem Gesetzentwurf, den wir hier einbringen, wollen wir nicht nur das Verbandsklagerecht, sondern auch die Mitwirkungsrechte von Tierschutzvereinen umfassend regeln und mehr Transparenz schaffen. Anerkannten Tierschutzverbänden wollen wir bei der Planung von Verordnungen und Rechtsvorschriften oder bei tierschutzrelevanten Genehmigungsverfahren Informations- und Beteiligungsrechte einräumen.

Die Mitwirkungsrechte betreffen auch die Erteilung von Baugenehmigungen zur gewerblichen Nutztierhaltung sowie Genehmigungs- und Erlaubnisverfahren wie z.B. zur Durchführung von Tierversuchen. Das macht viel Sinn, weil so der langjährige tierschutzbezogene Sachverstand der Verbände in das Verwaltungsverfahren eingebracht werden und so der Tierschutz von vorn herein berücksichtigt werden kann. Wir schaffen mit dem Gesetzentwurf einen Rahmen für ein insgesamt faires, rechtsstaatliches Verfahren, damit künftig ein fundierter Abwägungsprozess zwischen Tierschutzinteressen und anderen Interessen überhaupt erst möglich wird.

Das Gesetz könnte zudem auch präventive Wirkung entfalten: Es ist zu erwarten, dass auch ohne Klage Veterinärbehörden frühzeitiger und mutiger bei Tierschutzmängeln und Verstößen eingreifen. Denn sie müssten ja damit rechnen, dass bei Untätigkeit eine Klage von Tierschutzverbänden eingereicht würde.

Eine Prozessflut ist nicht zu erwarten. Denn nach den Vorstellungen unseres Gesetzentwurfes dürfen nur Tierschutzvereine klagen, die sachsen- bzw. bundesweit tätig sind und seit mindestens drei Jahren bestehen. Keiner dieser Tierschutzvereine wird sich dem zeit- und kostenaufwendigen Verfahren einer Klage ohne Aussicht auf Erfolg aussetzen. Auch wird kein Verband Niederlagen vor Gericht z.B. durch eine schlechte Vorbereitung und Durchführung riskieren, weil das weitreichende Folgen zu Lasten der Tiere haben könnte. Tierschutzvereine werden sich daher genau wie Naturschutzverbände auf wenige ausgewählte und beispielgebende Fälle beschränken. In den genannten Bundesländern, die Tierschutzverbänden auf Landesebene Klagebefugnisse eingeräumt haben, blieb eine Klagewelle aus. Auch das Verbandsklagerecht für anerkannte Naturschutzverbände hat in Sachsen zu keiner Klagewelle geführt.

Weiterhin regeln wir die Voraussetzungen und Verfahren für die Anerkennung eines Tierschutzvereines. Die Anerkennung soll durch das Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz erfolgen, wenn der Verein gemeinnützig ist, jedermann offen steht und laut Satzung die Förderung des Tierschutzes mindestens auf dem Gebiet eines Landes zum Ziel hat, sowie Gewähr für die sachgerechte Erfüllung seiner Aufgaben bietet.

Eine Verbandsklage soll nach unseren Vorstellungen möglich werden im Falle von Verletzungen von Tierschutzvorschriften im Tierschutzgesetz und in EU-Verordnungen oder bei erteilten Genehmigungen, denen tierschutzrelevante Vorschriften entgegenstehen. Zusätzlich zum Klagemodell der Anfechtungsklage haben wir auch die Feststellungs- und Verpflichtungsklage in den Gesetzentwurf aufgenommen. Für die Beteiligung am Verfahren werden Fristen festgelegt, die ausreichend Zeit zur Verfügung stellen, um seitens der ehrenamtlich tätigen Vereine eine Stellungnahme erarbeiten zu können.

 

Meine Damen und Herren,

ein Verbandsklagerecht verändert zunächst nicht die niedrigen Standards im Tierschutzrecht. Es kann zunächst nur helfen, geltendes Recht durchzusetzen. Denn grundsätzlich haben Klagen immer nur Auswirkungen auf den konkreten Fall.

Aber richterliche Entscheidungen haben auch eine große Signalwirkung. Insofern haben erfolgreiche Klagen weit über den Einzelfall hinaus Ausstrahlung und können sogar dazu führen, dass Verordnungen im Sinne der Tiere überarbeitet werden.

Ein Verbandsklagerecht wird also nicht nur das rechtliche Ungleichgewicht zwischen TiernutzerInnen und TierschützerInnen aufheben, sondern auch dabei helfen, die Erreichung des Staatsziels Tierschutz in der konkreten Praxis voranzutreiben und mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen. Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Sächsisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (Sächsisches Tierschutzverbandsklagegesetz – SächsTVG)“

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