Volkmar Zschocke: Es reicht nicht, beim Thema Klimafolgen allein auf Natur, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft zu schauen
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
alle können sich noch an den Jahrhundertsommer 2003 erinnern, mit verheerenden Folgen in West- und Mitteleuropa; an die Dürre, an die Waldbrände. Die Hitzewelle im August 2003 hat 70.000 Europäer getötet. Auch in Deutschland gab es einige Tausend Todesfälle, die auf Wärmebelastungseinwirkungen zurückzuführen waren.
Mit dem Juli 2006 folgte dann der heißeste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Deutschland. Es folgten fast jährlich Meldungen über neue Temperaturrekorde. 2015 war dann weltweit das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen.
In Sachsen hat der Klimawandel von 1991 bis 2010 gegenüber dem Zeitraum 1961 bis 1990 zu einem Anstieg der mittleren Jahrestemperatur um 0,6 Grad geführt. Zunehmende Extremwitterungen, heißere Sommer sind spürbare Veränderungen. Besonders auffällig sind eine deutliche Zunahme der „warmen Nächte“ über 20 Grad sowie der „warmen Tage“ in Sachsen.
Nun dürfen Wetter und Klima nicht verwechselt werden. Es wird auch Jahre geben, die vom Trend abweichen. Im Mittel wird es aber aller Wahrscheinlichkeit wärmer werden. Und da müssen wir uns neben den Folgen für Natur, Land-, Forst- und Wasserwirtschaft auch Gedanken machen über die Belüftung der Städte, über die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen – gerade in einem Land, wo die Menschen stark altern, verbunden mit der Problemlage, dass mit höherem Alter Hitzeperioden für den Kreislauf schwerer aushaltbar sind. Das gilt auch für Kleinkinder und chronisch Kranke.
Während Hitzeperioden steigen die Krankheits- und Sterberaten an. Eine Studie des Deutschen Wetterdienstes hat ergeben, das Hitzewellen das Sterblichkeitsrisiko von Herzkranken um bis zu 15 Prozent erhöhen. In Zukunft erwartet der DWD noch mehr, längere und intensivere Hitzewellen. Ohne Anpassungsstrategien könnte dies zu einer Vervielfachung der hitzebedingten Sterblichkeit aufgrund koronarer Herzkrankheiten führen.
Im Aktionsplan Klima und Energie von 2008 steht bei den Anpassungsstrategien der Gesundheitsbereich an erster Stelle. Eine ganze Reihe von Maßnahmen ist da aufgezählt:
- Abschätzung möglicher gesundheitlicher Folgen von Hitzebelastungen und erhöhter UV-Strahlung,
- Abschätzung der möglichen Zunahme von Infektionskrankheiten,
- Abschätzung der Auswirkung von Luftbelastungen auf Krankheitsgeschehen und Sterblichkeit,
- Entwicklung von Maßnahmen zur Vorbeugung gesundheitlicher Schäden
- Informationsbereitstellung und Verhaltensempfehlungen für die Bevölkerung und das medizinisches Personal
- Alle Ressorts sollten in einer interministeriellen Arbeitsgruppe „Klimafolgen“ zusammenarbeiten.
Das war vor 8 Jahren. Der Aktionsplan aus 2008 wurde 2013 durch das Energie- und Klimaprogramm der Staatsregierung abgelöst. Doch dort steht bei den Anpassungsstrategien der Gesundheitsbereich nicht mehr an erster Stelle, im Gegenteil: Er kommt so gut wie nicht mehr vor. Von den konkreten Maßnahmen aus dem Jahr 2008 sind 2013 nur noch unverbindliche Allgemeinplätze zu möglichen gesundheitlichen Folgen enthalten. Zudem soll die Abschätzung möglicher gesundheitlicher Folgen der prognostizierten klimatischen Veränderungen für die Menschen in Sachsen nicht weiterverfolgt werden. Im Klimafolgenmonitoringbericht von 2015 gibt es zwar einen Indikator zur Gesundheit – aber nur zur Pflanzengesundheit.
Nun habe ich mir gedacht, dass die Maßnahmen von 2008 dann bestimmt schon alle umgesetzt sind. Aber weit gefehlt: Eine Landtagsanfrage ergab, dass das Sozialministerium weder in der interministeriellen Arbeitsgruppe Klimafolgen vertreten, noch mit konkreten Fragestellungen im Bereich Klimafolgen befasst ist. Der Staatsregierung liegen weder Erkenntnisse und Daten zu gesundheitlichen Folgen des Klimawandels noch zu den Auswirkungen klimabedingter Luftbelastungen auf Krankheitsgeschehen und Sterblichkeit für die sächsischen Regionen vor.
Bei der Abschätzung gesundheitlicher Folgen will sich die Staatsregierung offenbar allein auf überregionale Erkenntnisse verlassen, was aber fatal ist. Denn bei der Frage, ob das Altenpflegeheim eine Klimatisierung braucht, ist es eben ein großer Unterschied, ob es im Stadtzentrum von Leipzig oder am Waldrand im Erzgebirge steht.
Denn heiße Sommer sind in den Städten aufgrund der Bildung von Wärmeinseln besonders ausgeprägt.
Meine Damen und Herren,
es reicht nicht aus, beim Thema Klimafolgen und Klimaanpassung allein auf Land-, Forst- und Wasserwirtschaft sowie auf Bodenschutz und Biodiversität zu schauen. Die Staatsregierung muss auch Maßnahmen zur Vorbeugung gesundheitlicher Schäden durch den Klimawandel entwickeln und umsetzen.
Diese Maßnahmen können vielfältig sein, angefangen von zielgerichteten Anpassungsmaßnahmen in den Städten: Bäume, Grünflächen, offene Wasserflächen, Kaltluftschneisen, Maßnahmen zur Minderung der Belastung: Hitzeberatung, Hitzentlastungsräume, verbesserte Warndienste, Hitze-Aktionspläne wie z.B. in Hessen, die Sicherung ambulanter pflegerischer Versorgung bei unwetterbedingten Störungen, Warn- und Bekämpfungsdienste für gesundheitsgefährdende Pflanzen und Tiere, auch für Tropenkrankheiten, Maßnahmen für den Arbeitsschutz, insbesondere für Personen in Außenberufen, Maßnahmen zum Screening insbesondere in Bezug auf Hauterkrankungen.
Wir wollen mit unserem Antrag zunächst dort ansetzen, wo die Staatsregierung vor 8 Jahren schon einmal angesetzt hat, und die im Aktionsplan Klima- und Energie angekündigten Anpassungsstrategien im Gesundheitsbereich erst einmal umzusetzen und vollumfänglich in die Fortschreibung des aktuellen Energie- und Klimaprogramms Sachsen aufnehmen. Diese Klarstellung finden Sie in unserem Änderungsantrag.
2008 wurde auch schon überlegt, das Hitzewarnsystem in Sachsen auf seine Funktionsfähigkeit hin wissenschaftlich zu überprüfen, denn bereits damals war klar, dass es nicht ausreicht, lediglich darauf zu verweisen, dass beim Wetterdienst Wetterwarnmails bestellt werden können. Genau das macht aber der Umweltminister in seiner Stellungnahme: Es gibt den Abo-Service vom DWD und das muss reichen. Ich finde das reichlich sorglos.
Denn mit der Umstellung der Hitzewarnungen auf einen zu abonnierenden Newsletter ist eine Holschuld entstanden, die sich eben nicht verbindlich durchsetzen lässt. Sich allein darauf zu verlassen, dass die relevanten Einrichtungen und betroffenen Privatpersonen sich schon irgendwas beim Wetterdienst abonnieren, kann zu gefährlichen Lücken führen. Wir wollen ein Warnsystem und Notfallpläne für den Gesundheitsschutz während Hitzewellen, die lückenlos funktionieren.
Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zum GRÜNEN-Antrag:
„Gesundheitsfolgen durch den Klimawandel ernst nehmen – im Aktionsplan Klima und Energie angekündigte Maßnahmen endlich umsetzen“ (Drs 6/4502)
36. Sitzung des 6. Sächsischen Landtags, 22. Juni 2016, TOP 9