Seit Jahrzehnten sind wir es gewohnt, im Supermarkt nach Lust und Laune durch prall bestückte Regalreihen zu fahren. Wir können aus einer großen Fülle verschiedenster Lebensmittel auswählen. Doch Umweltprobleme, Lebensmittelskandale und nicht zuletzt auch die Bauernproteste rücken die Frage nach der Herkunft unseres Essens in den Vordergrund. Immer mehr Chemnitzer*innen machen sich Gedanken darüber, woher die Lebensmittel kommen, die wir verzehren. Das Ernährungsthema drängt mit Macht in den urbanen Raum und bekommt damit auch eine lokalpolitische Dimension, die den ländlichen Raum einbezieht.
Um Chemnitz nachhaltig zu entwickeln, ist es wichtig, Lebensmittel in der Stadt selbst sowie im Umland zu produzieren. Egal ob Direktvermarktung, Einzelhandel, Restaurants oder Gemeinschaftsverpflegung in Kantinen, Kitas, Kliniken – ich möchte, dass sich unser städtisches Ernährungssystem mehr als bisher für regionale Kooperation öffnet.
Während der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Störanfälligkeit globaler Märkte ist die Bedeutung von regionaler Produktion und regionalem Absatz gewachsen. Sächsische Landwirtschaftsbetriebe, Bäckereien, Fleischereien, Obstbaubetriebe, Gärtnereien, Mühlen und auch Fischereibetriebe rücken verstärkt ins Blickfeld. Auf diesem wachsenden Bewusstsein für Regionalität möchte ich ein neues Bündnis zwischen Produzent*innen, den Direktvermarktern und den Verbraucher*innen entwickeln. Ich möchte regionale Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen unterstützen und somit regionale Wertschöpfung in der Landwirtschaft stärken. Die Anfänge in Chemnitz dazu sind bereits gemacht:
Unter dem Schlagwort Urban Gardening gib es Gemeinschafts- und Nachbarschaftsgärten, zum Beispiel den Stadtteilgarten KOMPOST oder den Interkulturellen Garten „Bunte Erde“. Hier werden neben den vielen traditionellen Kleingartenanlagen auch neue Form des gemeinschaftlichen Gärtnerns inmitten der Stadt zur Selbstversorgung praktiziert. Ich möchte die Rahmenbedingungen für solche Initiativen und auch für „essbare Landschaft“ in Chemnitz befördern.
- Autoreninterview Christa Müller
- Interkultureller Garten Chemnitz e.V.
- Stadtteilgarten KOMPOST
- Essbare Landschaften GmbH & Co. KG
„Mit Genuss und Verantwortung die Zukunft unserer Ernährung sichern“, hat sich die weltweite Bewegung für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem Slow Food auf die Fahnen geschrieben. Sie bringt Produzent*innen, Händler*innen und Verbraucher*innen miteinander in Kontakt, vermittelt Wissen über die Qualität von Nahrungsmitteln und macht so den Ernährungsmarkt transparent. Ein eigenes Convivium besitzt unsere Stadt im Gegensatz zu Leipzig-Halle oder Dresden noch nicht, doch ist Chemnitz im Convivium Südwestsachsen vertreten. Einzig „Der Fleischladen“ auf dem Brühl als Feinkostladen und Restaurant wirbt derzeit in Chemnitz mit dem Slow-Food-Label. Alles kommt dort direkt vom Erzeuger, aus Freilandhaltung und wird zu 100 Prozent verwertet. Ich sehe in Chemnitz Potential für einen Zuwachs an Mitgliedern und Unterstützer*innen aus Handel, Verarbeitung und Gastronomie, die als bewusste Genießer*innen und mündige Konsument*innen für gute und faire Lebensmittel in unserer Stadt eintreten und damit regional arbeitende Produzent*innen und traditionelles Lebensmittelhandwerk unterstützen.
- Slow Food Deutschland e.V. Convivium Südwest-Sachsen
- DER FLEISCHLADEN – FEINKOST & RESTAURANT Chemnitz
Auf dem Chemnitzer Wochenmarkt haben Verkaufsstände und Verkaufswagen bestimmter regionaler Anbieter*innen bereits Tradition. Doch die Chemnitzer Innenstadt bietet weit mehr räumliche Möglichkeiten für den Verkauf regionaler Erzeugnisse. Auch die temporäre Nutzung leerstehender Ladengeschäfte kann dabei stärker in den Blick genommen werden. In sogenannten PopUpStores könnten Landwirtschaftsunternehmen aus der Region gemeinsam für einen begrenzten Zeitraum ihre Produkte präsentieren und so neue Kontakte zu potentiellen Kund*innen aufbauen.
Dem Konzept der Markschwärmerei folgend, findet in der Schönherrfabrik jeden Donnerstagabend ein Markt statt, auf dem gute und gesunde Lebensmittel von Betrieben der Region angeboten werden. Die Idee der ursprünglich aus Frankreich stammenden Marktschwärmerei ist vergleichbar mit einer modernen Bauernmarkt-Variante. Allerdings besteht der Unterschied darin, dass die Produzent*innen nur das mitbringen, was die Kunden vorher über ein Online-Portal bestellt haben. Es gibt also keinen direkten Verkauf ab Hof, sondern es werden ausschließlich bereits bezahlte Produkte an einem Marktschwärmerort abgeholt. Erwerben wir diese regional erzeugten Lebensmittel, stärken wir zugleich neue Wirtschaftskreisläufe und Wertschöpfungsketten und unterstützen damit kleine und mittlere Betriebe. Ich bin mir sicher, dass sich in Chemnitz noch mehr Marktschwärmer-Lokalitäten, entsprechende Gastgeber*innen und Kund*innen finden lassen, die eine solche lokale Gemeinschaft aufbauen.
Auch Ernährungsräte als Netzwerke und Plattform zur Ernährungs- und Agrarwende in Städten bieten die Chance, das Ernährungssystem lokal zu gestalten. Dies sind in der Regel zivilgesellschaftliche Initiativen, die Konsument*innen, lokale Akteure der Lebensmittelversorgung wie Landwirt*innen, aber auch Vertreter*innen der kommunalen Verwaltung zusammenbringen, um gemeinsam die lokale Versorgung mit Lebensmitteln auf soziale und ökologisch nachhaltige Weise zu beeinflussen. Neben einer Verbesserung der Stadt-Land-Beziehung, stellen sie sich auch der Problematik, wie das Essen in Schulküchen, Kitas und Kantinen frisch, lecker, klimafreundlich und erschwinglich auf den Tisch gebracht werden kann. In Leipzig und Dresden haben sich bereits solche Ernährungsräte etabliert.
Ausgehend von einer kommunalen Initiative würde ich als Oberbürgermeister auch die Idee eines Runden Tisches unterstützen, um gemeinsam Möglichkeiten und Verfahrensweisen auszuloten, wie regionale Lebensmittelkreisläufe in Chemnitz und seinem Umland stärker zum Tragen kommen und welche Unterstützungsoptionen die Kommunalverwaltung diesbezüglich hat.
Ich möchte zudem Eigeninitiative und Kooperation regionaler Erzeuger*innen unterstützen. So hat sich z.B. im nahen Stollberger Raum die Vermarktungsinitiative „Erzgebirgisches Weiderind“ etabliert, die regionale Fleischereien und erzgebirgische Mutterkuhhalter*innen zusammen bringt, damit eine natürliche, nachhaltige und tiergerechte Rinderhaltung im Erzgebirge gefördert wird. Chemnitzer*innen müssen nicht zwingend zum Rindfleischkauf ins Erzgebirge fahren, denn zwei Chemnitzer Fleischereien (Müller und Körner) bieten dieses hochwertige Qualitätsfleisch mit Herkunftsnachweis bereits an.
Diese Ideen zur Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe sind nicht abschließend. Ich sehe es auch nicht als meine Aufgabe als Oberbürgermeister an, die Konzepte zu entwickeln. Ich möchte vielmehr ermutigen und unterstützen, wenn sich Partnerschaften und Kooperationen bilden. Ich möchte Chemnitz gemeinsam mit der Region entwickeln, das gilt besonders für die Lebensmittelversorgung.