„Wie schmeckt uns Chemnitz?“
Rund 60 Gäste folgten am 18. April unserer mit Augenzwinkern gestalteten Einladung ins Umweltzentrum, um mit uns über den Umgang mit Garten-, Grün- und Freiflächen zu diskutieren. Den Begriff „Essbare Stadt“ haben wir uns nicht selbst ausgedacht. Er kommt aus der Kleinstadt Todmorden in der englischen Grafschaft West Yorkshire. Kräuter auf Brachen, Obstbäume neben Gemüsebeeten in den Parkanlagen – unter dem Motto „Pflücken erlaubt“ statt „Betreten verboten“ gibt es auch in Deutschland einige „Essbare Städte“ wie Kassel, Andernach oder Minden, die diese Idee aufgegriffen haben.
Mit Vertretern von Stadtverwaltung, Kleingärtnern, Interkulturellem Garten, Saatgut-Garten, Umweltzentrum und vielen Interessierten aus dem Publikum diskutierten wir diesen Nutzungsansatz für Chemnitz und tauschten uns über gute Erfahrungen, neue Herausforderungen, aber auch Konflikte bei der Nutzung von Flächen aus.
Präzise vermittelte Viola Brachmann vom Stadtplanungsamt die Kerninhalte städtischen Konzeption zur Freiraumentwicklung unter Einbeziehung des Brachflächenkonzeptes. Potenzialflächen wurden für ganz Chemnitz definiert, doch liegen nur circa 10% in kommunaler Hand. Am Ende steht die Brachflächenkulisse, über die es Projekte zu aktivieren gilt. „Jetzt braucht es das Engagement der Zivilgesellschaft, um Schlüsselprojekte zu initiieren und die Leute für die weitere Umsetzung der Freiraumkonzeption zu begeistern“, warb Frau Brachmann.
Ilona Richter vom Interkulturellen Garten bunte erde e. V., stellte in ihrem Impulsreferat die soziale Bedeutung gemeinschaftlich genutzter Freiflächen heraus: „Gemeinsames Gärtnern in einem interkulturellen Umfeld fördert die Toleranz und Achtsamkeit aller Beteiligten.“
„In unserer heutigen Stadtgesellschaft geht Freiraumplanung weit über die klassische Grünplanung hinaus.“, sagte Peter Börner, Leiter Grünflächenamt Stadt Chemnitz. Er ging auch auf die verschiedenen Formen und Erfahrungen mit der Bürgerpflege von Grünflächen ein
Für einen neuen Kleingartenbegriff warb Jens Peter, Vorsitzender des Stadtverbandes Chemnitz der Kleingärten e.V.: „Die Chemnitzer Kleingartenvereine haben sich insgesamt in den vergangenen Jahren geöffnet. In einigen Gartenanlagen gibt es mittlerweile mehr öffentliche Freibereiche, Sitz- und Spielmöglichkeiten.“ Er stricht die Bedeutung der Kleingärten bei der lokalen und ökologischen Erzeugung von Lebensmitteln heraus und beschrieb die Herausforderungen und Chancen des sozialen Wandels in den Kleingartenanlagen.
Gleich mehrere Fürsprecher hatten die Stadt- und Wildbienen im Podium. Ibrahim Jammal, Stadtimker im Interkulturellen Garten bunte erde e.V. setzt ein Statement: „Keine Bienen – keine Natur!“ und wünscht sich gleichzeitig mehr Verständnis in der breiten Bevölkerung für diese nicht nur nützlichen, sondern überlebensnotwendigen Insekten. „Ohne Wild- und Honigbienen gäbe es kein Obst, kein Gemüse und keine Blumen. Bienen haben keine Lobby“, so die Zustimmung von Klaus Köbbert, vom Saatgut-Garten Nachhall e.V..
Die von Volkmar Zschocke moderierte Veranstaltung zeigte, dass sich zahlreiche Initiativen seit langem für städtisches Grün und die Freiraumentwicklung engagieren – ohne viel Aufsehen darum zu machen. Die Aktivierung und Mehrfachnutzung öffentlicher Räume oder der Schutz der urbanen Wildnis waren nur einige Beispiele, die an diesem Abend besprochen wurden. Aktivitäten bündeln und verstetigen sowie in den weiteren Prozess einfließen zu lassen, sind nur einige der angeführten Zielstellungen.
„Wir müssen die Freiräume und öffentlichen Orte aktiv für die Stadtgesellschaft sichern. Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die „grüne Infrastruktur“ mit wichtigen ökologischen, sozialen und kulturellen Dienstleistungen in unserer Stadt erhalten bleibt und stetig verbessert wird“, lautete der Schlussappell von Volkmar Zschocke an alle Beteiligten.
Viele der rund 60 Gäste nutzten die Chance, um sich an der Diskussion zu beteiligen.
Jörg Schuster, Vorstand Bündnis 90/Die Grünen Chemnitz, wandte sich direkt mit seiner Frage an den Leiter vom Grünflächenamt, Peter Börner. Schuster wollte wissen, warum nicht beispielsweise Wildobst oder Radieschen statt Stiefmütterchen gepflanzt werden können. Der Grünflächenamtsleiter der Stadt antwortete, dass es Bestrebungen gibt, doch Bürger bezüglich Fallobst und damit einhergehendem Wespenaufkommen sensibilisiert werden müssen.
Charlotte vom Nachbarschaftsgarten „Zietenaugust“ und gleichzeitig Vertreterin von foodsharing Chemnitz sprach die Bitte aus, kurzfristig Bescheid zu geben, wenn öffentlich zugängliches Fallobst abgeholt werden kann.
Manfred Hastedt, Leiter vom Umweltzentrum, betonte, dass Brachen in ihrer natürlichen Funktion für den Naturschutz und vor allem für Wildbienen und Wildkräuter von Bedeutung sind – somit eine zwingende Erfordernis der Nachnutzung aller Brachflächen nicht gegeben sei. Er wünscht sich mehr Achtsamkeit mit der Umwelt und gleichzeitig eine bessere Abstimmung seitens der Stadt mit den Naturschutzverbänden.
Thomas Bossack, greenpeace Chemnitz, stellte das Projekt „Knappteich“ kurz vor, welches von den Aktiven mit Unterstützung vom Grünflächenamt, der CAWG und GGG realisiert wird. Er fordert mehr Unterstützung solcher Initiativen seitens der Mittel im städtischen Haushalt.
Herr Örtel meldete sich als Fürsprecher der Schulgärten und fragt, ob nicht auch eine Anbindung von Gebieten außerhalb der Schulgelände möglich wären. Zustimmung erhält er von Jens Peter, dem Vorstand des Stadtverbandes Chemnitz der Kleingärten e. V. Viola Brachmann vom Stadtplanungsamt Chemnitz warf ein, das das Fach Schulgarten im Schulgesetz nicht berücksichtigt wird.
Sascha Wagner vom Stadthalten Chemnitz e. V. warf die Frage in den Raum, wie die 90% der Brachflächen in nicht kommunaler Hand, einer Nutzung zugeführt werden können. „Welche Anreize kann es für Eigentümer geben, damit sie ihre Flächen freigeben?“, wollte er gern wissen. Gleichzeitig erwähnte er ein positives Beispiel, bei denen es den „Gartenutopisten“ gelungen ist, Brachland aus privater Hand zu bestellen.
Eine äußerst engagierte Hobbyimkerin aus Euba ergriff nochmals das Wort für die Bienen. Sie beheimatet mittlerweile zwei ihrer Bienenvölker im Saatgutgarten und findet, das Chemnitz für Bienen ein ungeahntes Potenzial birgt. Leider wurden vor drei Jahren auf einer Brachfläche in Chemnitz ihre Bienenvölker von Unbekannten zerstört, wodurch sie in ihrem gefühlvollen Plädoyer für die Bienen, sichtlich das Mitgefühl im Publikum wecken konnte.
„Wie kann eine Ertragsperspektive für ein Projekt formuliert werden?“, so die Frage von Boris Kaiser, Sprecher der Cradle to Cradle e. V. Regionalgruppe Chemnitz in die Runde, die weitestgehend unbeantwortet blieb.
Als engagierte Kleingärnterin, äußerte Anne G. den generellen Wunsch, den Einsatz von Pestiziden und Herbiziden nicht nur in Kleingartenanlagen, sondern im ganzen Stadtgebiet durch die zuständigen politischen Akteure verbieten zu lassen.
Lutz M., einst Vorsitzender des Kleingartenvereins „Wiesenquell“ berichtete über den Leerstand in seiner geliebten Kleingartenanlage und unterbreitete gleichzeitig das Angebot, Parzellen für das Stadtimkern zu nutzen, da auch eine Streuobstwiese an die Anlage grenzt und das Obst ohne die Bestäubungsleistung der kleinen Insekten nicht gedeihen könne.
Der Diskussionsbedarf im Publikum nahm kein Ende, doch Volkmar Zschocke beendete den offiziellen Teil der Veranstaltung und bot den Interessierten an, bei Snacks und Erfrischungsgetränken, die Bedarfe weiter zu besprechen und Koalitionen zu ermitteln.
Einigkeit bestand auf dem Podium und im Publikum darüber, dass Chemnitz ein großes Potenzial an urbanem Grün birgt. Der kreative Blick auf den Umgang mit den natürlichen Ressourcen der Stadt eröffnete weitere Ideen zur Optimierung von Stoffkreisläufen und für eine interessante Freiraumgestaltung. (sm)