Nach 12 Jahren langem Atem und gemeinsamen Engagement ist es endlich gelungen, den Lern- und Gedenkort Kassberg-Gefängnis zu eröffnen. Es war ein intensives und für das gesamte Team anstrengendes Eröffnungs-Wochenende. Alle sind erschöpft und gleichzeitig froh und hoffnungsvoll und eigentlich schon wieder voll mit Energie.
Die Tageschau berichtete über die Eröffnung. Weit über 3000 Besucherinnen und Besucher sind gekommen, um den Lernort und die neu entstandene Dauerausstellung zu sehen. Weitere mussten wir auf die regulären Öffnungszeiten ab kommenden Samstag verweisen. Zu lang war die Schlange und Wartezeit. Doch Schlangen gab es schon bei den vergangenen Museumsnächten und Tagen der offenen Tür. In den 12 Jahren, in dem wir um diesen Lern- und Gedenkort kämpfen, ist das große überregionale Interesse nie abgeklungen.
„Ich komme wieder. Diese Fülle an Eindrücken und Informationen kann ich bei einem Besuch gar nicht erfassen.“
Dies und Ähnliches hörte ich am Wochenende häufig. Denn die Besucherinnen und Besucher treten in den Zellen den früher im Kaßberg-Gefängnis Inhaftierten unmittelbar gegenüber. Diese erzählen in Text, Bild und Video von ihrem Leben und von den konkreten Auswirkungen der Willkürherrschaft und Diktatur. Wer sich darauf einlässt, bleibt länger in der jeweiligen Zelle, sieht, hört, liest, blättert. Ist ergriffen von den Schicksalen. Erahnt etwas von der Verzweiflung und der Angst. Ist beeindruckt von der Hoffnung, dem Mut und der Entschlossenheit, sich gegen Unrecht und Unfreiheit aufzulehnen.
Das Gefängnis selbst tritt dabei in den Hintergrund. Es ist als Hülle mit Zellengängen und Treppen vollständig da, erinnert aber wenig an die dunklen Zeiten. Denn in den Jahren nach 1990 wurde es zu einer bundesdeutschen Justizvollzugsanstalt umgebaut und 20 Jahre genutzt. Ich selbst habe als Sozialarbeiter ab 1992 hier Gefangene besucht und mit ihnen ihre Entlassung vorbereitet. Die undurchsichtigen Glasbausteine, an die sich viele Zeitzeugen aus der DDR erinnern, wurden nach der friedlichen Revolution durch Fensterscheiben ersetzt, Zellentüren ausgewechselt, die Freigangzellen entfernt, viele bauliche Anlagen verändert.
Nach der Schließung im Jahr 2011 war es weder möglich noch sinnvoll, ursprüngliche Zustände vollständig wiederherzustellen. Drei ausgestaltete Schauzellen ermöglichen daher den Blick in die jeweilige historische Phase des Gefängnisses, ansonsten bestimmen die Menschen, ihre Geschichte und auch ihre Akten das Bild der Zellen. Am Ende der drei Zellengänge werden die historischen Zusammenhänge der NS-Zeit, der Zeit der sowjetischen Militäradministration, der DDR und insbesondere des Häftlingsfreikaufs anschaulich erläutert.
Jetzt kann auch die Bildungsarbeit des Vereins insbesondere mit den Schülerinnen und Schülern vor Ort durchgeführt werden. Es ist enorm wichtig, dass sie verstehen, was passieren kann, wenn Menschen- und Bürgerrechte nicht mehr gelten. Es wird immer wichtiger, sich bewusst zu machen, dass Rechtsstaatlichkeit, Meinungsvielfalt und Freiheit nicht selbstverständlich sind, sondern geschützt und verteidigt werden müssen. Hier können sie auch absurde populistische Argumente entlarven lernen, zum Beispiel, dass es heute wieder Meinungsbeschränkung wie in der DDR gäbe. Wer sich heute regierungskritisch äußert, muss vielleicht mit Widerspruch rechnen, aber nicht mit mehrjähriger Haft.
Auch die neue Internetseite des Vereins ist seit dem Wochenende online. Unser Lernort für die Zukunft bietet verschiedenste Bildungsangebote: https://gedenkort-kassberg.de. Den regulären Betrieb nimmt unser Lern- und Gedenkort am kommenden Samstag, 28. Oktober 2023 auf. Geöffnet ist ab dann Mittwoch bis Sonntag, jeweils 10 bis 17 Uhr.