Inklusion im Bildungsbereich erfordert einen konsequenten Wechsel der Perspektive

Rede zum GRÜNEN-Antrag: „Schulische Inklusion in Sachsen umsetzen – Fortgeschriebenen Aktions- und Maßnahmeplan vorlegen“ (Drs 6/1762) zur 14. Sitzung des Sächsischen Landtags (TOP 11) am 10. Juni 2015:

 

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– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Inklusion im Bildungsbereich erfordert einen konsequenten Wechsel der Perspektive: Nicht „wie muss das Kind sein, damit es zur Schule passt“, sondern „wie muss die Schule sein, damit alle Kinder entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse gefördert werden.“

Mit unserem Antrag wollen wir erreichen, dass der Aktions- und Maßnahmeplan zur Umsetzung der Inklusion im Schulbereich jetzt endlich fortgeschrieben wird. Wir wollen das Rad auch nicht neu erfinden, sondern das einfordern, was im Landtag bereits im September 2011 fraktionsübergreifend beschlossen wurde, von den Staatsregierungen aber nur unzureichend umgesetzt wurde.

Der damalige Beschluss zur Inklusion im sächsischen Schulwesen wurde zurecht als Sternstunde des Parlaments bezeichnet und als wichtiges gemeinsames Bekenntnis zur Inklusion gewertet.Parallel tagte bereits ein Expertengremium Inklusion, das der damalige Kultusminister Roland Wöller kurz vor dem gemeinsamen Landtagsbeschluss eingesetzt hatte. Im März 2012 wurde, wie beschlossen, ein erster Aktions- und Maßnahmeplan zur Umsetzung der schulischen Inklusion vorgelegt. Darin heißt es: „Die Empfehlungen des Expertengremiums werden bei der Fortschreibung berücksichtigt.“ Diese Fortschreibung, meine Damen und Herren, ist jedoch seit nunmehr drei Jahren überfällig!

Abgeordnete, die sich über den aktuellen Stand erkundigten, wurden immer wieder vertröstet: Zunächst müssten die Empfehlungen des Expertengremiums, die seit Dezember 2012 vorliegen, in den Aktions- und Maßnahmeplan eingearbeitet werden. Ist das so schwierig, dass Sie dafür mehrere Jahre Zeit brauchen? Oder passen die Empfehlungen nicht ins Konzept? Soll die wertvolle Expertise von fast dreißig Sachverständigen wirklich ungenutzt bleiben?

Einbezogen waren Behindertenverbände, Lehrerverbände und -gewerkschaften, Eltern- sowie Schülervertretungen, kommunale Spitzenverbände, Wohlfahrt- und Wirtschaftsverbände – kurzum: alle wichtigen Akteure im Bereiche der schulischen Inklusion!
Sehr geehrte Frau Klepsch, Sie haben jetzt eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention eingesetzt. Ich appelliere an Sie: Schieben Sie die schulische Inklusion nicht auf die lange Bank! Ignorieren Sie den den gemeinsamen Landtagsbeschluss von 2011 nicht! Nutzen Sie die Arbeitsergebnisse der Expertenkommission! Fakt ist: Die Handlungsbedarfe zur Umsetzung der schulischen Inklusion sind bekannt und die drängendsten greifen wir mit unserem Antrag auf.

Prof. Katzenbach vom Institut für Sonderpädagogik der Goethe-Universität Frankfurt, hat fünf Faktoren für das Gelingen von Inklusion beschrieben: Eine Vision, entsprechende Fähigkeiten der Akteure, gezielte Anreize, adäquate Ressourcen und einen Aktionsplan. Fehlt ein Faktor, gefährdet dies den gesamten Prozess:

Als Erstes muss die Vision von inklusiver Schule stimmen. Und da sagen ich ganz deutlich: Ohne einen Rechtsanspruch auf inklusive Bildung im sächsischen Schulgesetz, habe ich Zweifel, dass es mit der Inklusion vorwärts geht. Dann müssen Eltern weiter den Klageweg beschreiten und das ist auch mit der UN-Behindertenrechtskonvention kaum vereinbar.

Zweitens dürfen wir es nicht verpassen, das Fachpersonal mitzunehmen, sowohl die, die wertvolles sonderpädagogisches Wissen mitbringen, als auch die, die vor neuen Herausforderungen stehen. Alle müssen die Gelegenheit erhalten, inklusionspädagogische Kompetenzen zu erwerben und weiterzuentwickeln und damit Sicherheit zu gewinnen. Dafür muss es echte Freistellungen geben, sonst wird Inklusion als zusätzliche Belastung empfunden.

Drittens ist das Setzen von Anreizen nicht nur finanziell zu verstehen. So könnten die neuen, über den ESF finanzierten Inklusionsassistenzen eine konkrete Hilfe im gemeinsamen Unterricht sein. Nur wissen wir nicht, wie diese Hilfestellung konkret aussehen wird, weil sie im Aktionsplan von 2012 noch gar nicht vorgesehen war. Hier muss eine Fortschreibung erfolgen.

Viertens: Inklusion nur unter Ressourcenvorbehalt zu diskutieren, geht letztlich zu Lasten aller: Die Klassen sind trotz integrativer Unterrichtung übervoll, für die individuelle Förderung bleibt kaum mehr Raum und Zeit und Barrierefreiheit bleibt vielerorts ein frommer Wunsch. Wenn aber die Rahmenbedingungen nicht stimmen, müssen alle drunter leiden. Die Erfahrung ist dann: Inklusion funktioniert nicht und das wäre eine riesengroßer Rückschritt.

Kurzum: Der Aktions- und Maßnahmeplan und die Empfehlungen des Expertengremiums bilden eine gute Grundlage für die Umsetzung der Inklusion an Expertise fehlt es also bisher nicht, wohl aber am politischen Willen zur Umsetzung. Dies können Sie mit Ihrer Zustimmung zu unserem Antrag aber ändern.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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