Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zum Antrag der Fraktionen CDU, BÜNDNISGRÜNE und SPD: „Grundsatzkonzeption Wasserversorgung 2030“ (Drs 7/9719)
50. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 05.05.2022, TOP 5
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
„An keinem anderen Punkt in der jüngeren Geschichte sah sich die Menschheit einer solchen Vielzahl von bekannten und unbekannten Risiken und Gefahren ausgesetzt. Wir können es uns nicht leisten, das Ausmaß und die Wirkung dieser existenziellen Bedrohungen zu unterschätzen.“
Zu diesem Ergebnis kommt ein am vergangenen Mittwoch vorgestellter Bericht des UN-Wüstensekretariats. Ohne schnelles Handeln würde die sogenannte Versteppung in den kommenden Jahren in vielen Teilen der Welt rasend schnell zunehmen und viele Regionen in lebensfeindliche Einöden verwandeln.
Nun ist Sachsen keine Steppe. Im Gegenteil: Im Vergleich zu anderen Weltregionen leben wir hier in einer regelrechten Komfortzone. Nicht nur was unsere Lebensverhältnisse betrifft, sondern auch in Bezug auf klimatische Bedingungen, Luftqualität, fruchtbare Böden, Verfügbarkeit von Wasser. Wasser, das in Trinkqualität aus der Leitung kommt. All diese großartigen Leistungen stellt uns die Natur zur Verfügung. Wir nutzen diese wie selbstverständlich, allzu oft auch gedankenlos.
Doch diese Leistungen sind keineswegs selbstverständlich. Die Folgen von Wasserknappheit, Austrocknung und Grundwasserabsenkung sind auch hierzulande inzwischen deutlich spürbar. Seit dem Jahr 2000 hat Deutschland so viel Wasser verloren wie der Bodensee umfasst. Das bedeutet: In den vergangenen zwanzig Jahren ist Deutschland jährlich um 2,5 Kubikkilometer ausgetrocknet.
Wenn wir heute über die neue Grundsatzkonzeption für die Wasserversorgung 2030 reden, müssen wir anerkennen, dass der Klimawandel die maßgebliche Rahmenbedingung ist. Nicht alle hier im Saal tun das. Daher appelliere ich an alle, sich bewusst zu machen, dass wir hier nicht irgendwelche Konzeptionen, sondern überlebensnotwendige Fragen verhandeln.
Als erstes die Frage, wie sich Verbrauch und Bedarf entwickeln und wie die wachsenden Konkurrenzen beim Wasserbedarf der Bevölkerung, der Industrie und der Landwirtschaft gelöst werden können. Dann die Frage nach dem Zustand und der ökologischen Bewirtschaftung von Grund- und Oberflächenwasser und den daraus folgenden dringenden Handlungsbedarfen. Und natürlich auch die Frage nach der Vermeidung von Wasserknappheit und der Versorgungssicherheit, insbesondere in Not- und Krisensituationen.
Die Grundsatzkonzeption muss die Gefährdung durch natürliche und nicht natürliche Stoffeinträge in den Blick nehmen. Dazu gehören zum Beispiel die im Antrag benannten Huminstoffe oder bergbaubedingte Sulfat- und Eiseneinträge. Die Ausschwemmungen aus sächsischen Tagebauen führen bis zu den Wasserwerken in Berlin zu enormen Problemen. Die Wasserversorger kämpfen zudem mit den hier heftig umstrittenen Einträgen aus Düngemitteln, Bioziden und Pflanzenschutzmitteln. Dazu kommen die ganzen Haushalts- und Industriechemikalien sowie Arzneimittelrückstände, die – einmal im Abwasser – sich nur mit enormen Kostenaufwand wieder herausfiltern lassen. Ein Problem, was zunehmen wird, sind multiresistente Keime sowie Mikroplastik.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
so, wie unsere Großeltern vorausschauend viele Talsperren und Wasserwerke in Sachsen gebaut haben, sind wir heute in der Pflicht, auch für unsere Kinder und Enkel vorzusorgen. Die Großeltern haben uns ein hervorragendes System der Wasserversorgung überlassen. Wir nutzen in Sachsen täglich knapp 600.000 Kubikmeter für Trinkwasser in hervorragender Qualität, über 60 Prozent aus Grundwasser und Uferfiltraten, knapp 40 Prozent aus Talsperren. Spätestens seit den letzten Hitzesommern ist klar, dass wir in dieses System investieren müssen, um es auf stärker schwankende Wasserangebote auszurichten. Die Baumaßnahmen an der Talsperre Cranzahl sind nur Vorboten dieser Entwicklung. Stabile Wasserversorgung ist kein Thema für strittige Prioritätendiskussion, sie muss einfach sichergestellt werden. Der Punkt vier des vorliegenden Antrages nimmt daher die Investitionserfordernisse in die Fernwasserversorgung, in den Talsperrenverbund sowie in den Bau notwendiger neuer Überleitungskapazitäten in den Blick. Wir müssen wissen, welche Anpassungen der Wasserversorgungsinfrastruktur an den Klimawandel notwendig sind.
Das Thema Wasser bekommt vor allem in den Bergbauregionen zunehmende Brisanz. Der Braunkohlenabbau stellt den größten Eingriff in den Wasserhaushalt der betroffenen Regionen dar. Die Folgen wirken weit über den Zeitraum des Kohleabbau hinaus. Das Management des Wasserhaushaltes in dieser Region wird in den nächsten Jahrzehnten mit enormen Anstrengungen verbunden sein. Neben dem touristischen Potential übernehmen die Bergbaufolgeseen Speicherfunktionen, die Auswirkungen auf die Flussbewirtschaftung haben.
Es ist fraglich, ob das Wasser noch ausreicht, um aus den gigantischen Kohlegruben schöne neue Seen entstehen zu lassen. In Niedrigwasserzeiten steht die Spree jetzt schon vor zunehmenden Mengenproblem. Der Abfluss Richtung Spreewald fällt zeitweise auf Null ab, Teile der Schwarzen Elster fallen jetzt schon zeitweise trocken. Je mehr Tagebauseen entstehen, desto größer wird der Zuflussbedarf. Das gilt auch für das mitteldeutsche Flußsystem. Mit dem Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen steigt dann auch die Verdunstung. Der Zuflussbedarf kann sich hier schnell verdoppeln. Dieses Problem kann Sachsen nicht im Rahmen einer Wasserkonzeption abschließend lösen. Aber es muss gelöst werden. Es muss gelingen, in diesen Regionen einen sich weitestgehend selbst regulierenden Wasserhaushalt wieder herzustellen. Dafür sind nachhaltige und langfristige Bewirtschaftungsstrategien gefragt. Im Zweifel muss auch über die Verkleinerung der Fläche künftiger Tagebauseen nachgedacht werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie mich zum Schluss noch einen Appell an uns alle richten. Wasser bedeutet Leben, bedeutet Überleben. Und deshalb muss die Versorgung mit Wasser dem freien Wettbewerb entzogen bleiben. Der Freistaat kann die Grundsätze für die Entwicklung der öffentlichen Wasserversorgung festlegen und die Rahmenbedingungen mit dem Landesbetrieb insbesondere für die Rohwasserbereitstellung gestalten. Aber die öffentliche Wasserversorgung selbst liegt bei den Kommunen. Diese müssen darauf achten, dass diese als Pflichtaufgabe der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand bleibt. Notwendig ist dafür intensive kommunale Zusammenarbeit und ein Festhalten an der bisher praktizierten Solidarität zwischen den Kommunalen Aufgabenträgern.
Der ehemalige Geschäftsführer der Landestalsperrenverwaltung Heinz Gräfe hat es uns deutlich ins Stammbuch geschrieben, die Folgen des Klimawandels ernster zu nehmen. Noch haben wir die Chance, die Wasserversorgung für Bevölkerung, Landwirtschaft und Industrie zukunftssicher aufzustellen.
Die Debatte hat die Komplexität der Wasserversorgung aufgezeigt: Gewinnung, Aufbereitung, Speicherung, Verteilung, sparsame Verwendung, Schutz der knapper werdenden Ressourcen. Im Antrag geht es zunächst um die Fortschreibung einer Konzeption. Es werden aber auch Themen angesprochen, die über die Inhalte einer Grundsatzkonzeption Wasserversorgung hinausgehen. Es geht um wasserwirtschaftliche Handlungsfelder, die uns künftig vor enorme Herausforderungen und auch Konflikte stellen werden. Im Kern geht es um die Fortsetzung einer Generationenaufgabe unter sich zuspitzenden Bedingungen. Deshalb wird heute auch nicht das letzte Wort dazu gesprochen sein. Die Auseinandersetzung wird weiter gehen – gemeinsam mit den zuständigen Aufgabenträgern auf der kommunalen Ebene. Ich bitte um Zustimmung.