Große Anfrage Crystal: Der 10-Punkte Plan ist noch keine Erfolgsgeschichte. Wir wollen, dass Kinder sicher ins Leben kommen, Familien erhalten werden können und Beratungsstellen und Polizei bei ihrer wichtigen Arbeit nicht hängen gelassen werden

 

Rede zur Großen Anfrage der GRÜNEN-Fraktion zum Thema „Umsetzung 10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums“ (Drs 6/11188) zur 69. Sitzung des Sächsischen Landtags am 15. März, TOP 5.

– Es gilt das gesprochene Wort –

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,

Crystal ist die am meisten konsumierte illegale Droge in Sachsen. Sie wird in allen gesellschaftlichen Schichten konsumiert, überwiegend von jungen Menschen. Es ist auch dem jahrelangen Drängen unserer im Dezember letzten Jahres verstorbenen GRÜNEN Abgeordneten Elke Herrmann zu verdanken, dass sich die Staatsregierung mit dem hohen Crystal-Konsum in Sachsen intensiver auseinandergesetzt hat. Ich weiß noch, wie Elke Herrmann hier eindrücklich auf den Anstieg der jungen Crystal-Konsumentinnen und Konsumenten aufmerksam gemacht hatte.

Die GRÜNE-Fraktion hat schon 2011 ein Sofortprogramm zur Stärkung der Suchthilfe gefordert und darauf gedrängt, dass die Staatsregierung auf die besorgniserregende Entwicklung reagiert. 2014 wurde daraufhin vom damaligen Innenminister ein 10-Punkte-Plan zu Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums vorgestellt.

Jetzt haben wir dessen Wirksamkeit umfassend hinterfragt. Die Antworten der Staatsregierung ermöglichen eine Zwischenbilanz zur Umsetzung der angekündigten Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Suchthilfe sowie Repression. Auch neue Herausforderungen, die im 10-Punkte-Plan noch nicht erwähnt sind, haben wir in den Blick genommen:
Jugendhilfe und Jugendarbeit,
Hilfen für von Crystal-abhängige Eltern und Kinderschutz,
Suchtherapieangebote im Justizvollzug
Maßnahmen zur Schadensminderung.

Die Zwischenbilanz ist durchwachsen. Ja, der 10-Punkte-Plan hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren in bestimmten Teilbereichen durchaus Wirkung entfaltet:
neue Arbeitsstrukturen zwischen Sozial-, Innen- und Kultusministerium sind entstanden
im „Landesfachausschuss Suchtprävention“ arbeitet eine AG zu Crystal
es gab vielfältige Fachtagungen und Weiterbildungen
die Öffentlichkeitsarbeit wurde ausgebaut
die Datenlage hat sich seit 2014 teilweise verbessert
die Personalausstattung in der Suchtberatung hat sich seit 2016 positiv entwickelt, die Wartezeiten für eine Erstberatung haben sich verkürzt, in einigen Beratungsstellen gibt es zusätzlich Sprechstunden zur akuten Krisenintervention
zumindest in der JVA Zeithain und in der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen gibt es für Crystal-Konsumenten ein stationäres Therapieangebot
die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Tschechien und Polen wurde ausgebaut
Für diese Fortschritte haben wir GRÜNEN jahrelang gekämpft, mit Anträgen, in den Haushaltsberatungen, durch viel kritisches Nachfragen.

Ich sage aber auch ganz deutlich: Der 10-Punkte Plan ist noch keine Erfolgsgeschichte. Die 2014 angekündigten Maßnahmen sind bei Weitem nicht erfüllt. Zudem stellen sich neue Aufgaben, die dringend angegangen werden müssen.

  1. Die Zahl der Crystal-Abhängigen stagniert auf hohen Niveau. In ganz Sachsen haben seit 2014 durchschnittlich über 4.800 Personen jährlich Hilfe gesucht − die meisten in Leipzig und Dresden, aber vor allem auch im Erzgebirge und im Vogtland. Junge Frauen sind besonders betroffen: Weit über 30 Prozent der konsumierenden Frauen tun dies erstmals im Alter von 15 bis 17 Jahren.
  2. Die Fälle von geschädigten Neugeborenen steigen. Die Fälle von geschädigten Feten und Neugeborenen sind 2016 auf 185 Fälle angestiegen. Neugeborene kommen mit akuten Entzugssymptomen auf die Welt. Auch diese Fälle werden in den sächsischen Geburtskliniken häufiger diagnostiziert. Diese Entwicklung beunruhigt sehr, denn neben Alkohol ist Crystal mit schwerwiegenden Gefährdungen für das vorgeburtliche und geborene Leben verbunden.
  3. Die Verstetigung der in den Landkreisen entwickelten Crystal-Suchthilfeprojekte steht in Frage. Eine bloße Aufzählung der erfolgten Trägeraktivitäten reicht mir nicht. Ich erwarte von Sozialministerin Barbara Klepsch eine kritische Evaluation, was die Projekte erbracht haben, und wie es nach Auslaufen der Landesförderung weitergeht. Die zusätzlich geschaffenen Stellen müssen von den Landkreisen künftig stabil kofinanziert werden. Es ist derzeit offen, ob dies bei der Haushaltslage der Kommunen gelingt.
  4. Es fehlen stationäre Therapieplätze, insbesondere für Eltern mit Kind. Zur Rehabilitation werden gerade mal 258 Betten in sächsischen Krankenhäusern bereitgestellt. Das ist zu wenig. Die Motivation für die Arbeit an der Suchterkrankung sind bei Müttern oft die Kinder: Sie möchten „eine gute Mama sein“, sie wollen, dass es ihre Kinder „besser haben“. Doch in Sachsen gibt es nur eine stationäre Einrichtung für Eltern mit Kind − die Evangelische Fachklinik Heidehof in Weinböhla. Aufgenommen werden dort jedoch nur Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren. Das Ziel der Staatsregierung, den „familienerhaltenden Ansatz“ zu fördern und die Eltern-Kind-Beziehung zu stärken, wird so nicht erreicht! Fehlende Eltern-Kind-Angebote sind ein Grund dafür, dass Kinder Crystal-Abhängiger immer öfter ins Heim müssen. Das kritisiert auch der Landesrechnungshofs im Bericht 2017: Die Kosten der Heimerziehung und sonstiger betreuter Wohnformen sind stark angestiegen – von rund 94 Millionen Euro 2008 auf rund 184 Millionen Euro im Jahr 2015. Als wesentliche Ursache dafür wird der Crystalkonsum benannt.
  5. Es fehlen stationäre Therapieplätze in den Justizvollzugsanstalten. Die stationären Suchttherapieangebote in der Justizvollzugsanstalt Zeithain und der Jugendhaftanstalt Regis-Breitingen reichen bei weitem nicht. Die ursprünglich vorgesehenen 20 Plätze für Männer in Zeithain haben sich bzgl. der Gruppengröße aus therapeutischer Sicht nicht bewährt. Aktuell werden lediglich zwei Gruppen à 8 Teilnehmern  behandelt. Für die aktuelle Entwöhnungsgruppe lagen 30 Bewerbungen aus ganz Sachsen für diese 8 Plätze vor. Wir haben wiederholt kritisiert, dass die neue Haftanstalt in Zwickau ohne Suchttherapiestation gebaut wird. Wir haben eine Aufstockung im Haushalt 2017/18 gefordert, insbesondere für Frauen und weibliche Jugendstrafgefangene, für die es bis heute gar kein stationäres Angebot gibt.
  6. Die Polizeidirektionen verfügen nicht über die ausreichende personelle und technische Ausstattung, um Drogenlabore, Quellen und Verbringungswege aufzudecken und den Handel mit der Substanz zurückzudrängen.

Die Beamtinnen und Beamten brauchen im Kampf gegen Crystal deutlich mehr Unterstützung. 2013 wurde die Einrichtung einer Sonderkommission (SOKO) Crystal öffentlich angekündigt, doch bis heute nicht umgesetzt. Auch die technische Ausstattung der sächsischen Polizei im Kampf gegen Crystal erscheint mangelhaft. In ganz Sachsen gibt es zum Beispiel nur drei mobile Analysegeräte zum schnellen Drogen-Screening.

Wir wollen, dass Kinder sicher ins Leben kommen, Familien erhalten werden können und Beratungsstellen und Polizei bei ihrer wichtigen Arbeit nicht hängen gelassen werden.

Die Herausforderungen im Umgang mit dem hohen Crystal-Konsum erfordert kontinuierliche und ressortübergreifende Zusammenarbeit. Was ist nun konkret zu tun:

Notwendig sind mehr präventive Angebote − online, an den Schulen, in der Jugendarbeit und mit Blick auf Risikogruppen. Aus- und Weiterbildungen sind zu koordinieren, gerade für die Fachkräfte, die in betroffenen Familiensysteme wirken: Ärzte, Hebammen, in der Sozialarbeit, Familienhilfe, in den Jugend- und Gesundheitsämtern. Auch mehr Fortbildungen für Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer werden gebraucht. 

In der Suchthilfe brauchen wir einen Ausbau der Rehabilitationsangebote in Sachsen, auch für Crystal-abhängige Eltern mit Kindern. 

Dass eine pauschale Mittelverteilung an die Städte und Kreise über die Förderrichtlinie Psychiatrie und Sucht nicht zielführend ist, haben nicht nur wir sehr deutlich gemacht. Vielmehr muss die Suchthilfe am regionalen Bedarf ausgerichtet werden, nicht pauschal an der Einwohnerzahl pro Stadt oder Kreis.  Die seit 2015 neu entstandenen Projekte müssen auch im nächsten Doppelhaushalt des Landes weiter gefördert werden. 

In allen Regionen Sachsens und in der Frauenjustizvollzug in Chemnitz sind stationären Suchtherapiestationen im Justizvollzug erforderlich. Wer suchtkrank ist, braucht vor allem Hilfe, statt Strafe.

Wir schlagen zudem vor, Konzepte zu entwickeln, um die Selbsthilfe für Crystal-Abhängige zu fördern. 

Und leider gibt es Abhängige, die ihren Konsum nicht dauerhaft beenden werden. Auch diese müssen bestmöglich beraten und unterstützt werden, um den Schaden zu minimieren. 

Die Polizeidirektionen benötigen ausreichend Personal zur Bekämpfung des grenzüberschreitenden Handels und Schmuggels von Crystal. Und Herr Wöller, Sie müssen die Bekämpfungskonzeption Crystal fortschreiben und ein umfassendes Lagebild aller zwei Jahre erstellen. 

In Anhörungen zum Thema haben Wissenschaftler und Mediziner deutlich gemacht, dass die Entwicklung eines wissenschaftlich abgesicherten Konzeptes zur Versorgung und Behandlung Crystal-geschädigter Säuglinge und Kinder dringend notwendig ist. Auch das ist Gegenstand unseres Antrages. Es braucht nachstationäre Behandlungs- und Hilfsangebote für diese Kinder, auch eine landesweite Handlungsempfehlung für ein Hilfeplanverfahren bei Crystal-abhängigen Eltern, um auf den starken Anstieg der Heimunterbringung zu reagieren. 

Und natürlich müssen Umsetzung und Wirkung, der im 10-Punkte-Plan benannten Maßnahmen auch evaluiert werden. Nach 4 Jahren ist der richtige Zeitpunkt dafür jetzt. Ich bitte um Unterstützung zu unserem Antrag.  

 

Grüner Entschließungsantrag: „Umsetzung 10-Punkte-Plan zur Prävention und Bekämpfung des Crystal-Konsums“ (Drs 6/12714)

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