– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
die Staatsregierung vermittelt mit ihren Antworten auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE zur “Situation und Perspektive der Altenpflege in Sachsen” den Eindruck im Bereich Pflege läuft alles super:
– Prognosen zum Pflegebedarf bestätigt
– Pflegefachkräfte ausreichend vorhanden
– Pflegebedürftige werden in Sachsen bestens versorgt.
Schaut man sich die Antworten genau an, dann zeigt sich die gleiche Konzeptlosigkeit in der Pflege, die unsere Fraktion seit Jahren kritisiert. Daran hat sich kaum etwas geändert, seit die SPD mitregiert.
Das Land Sachsen muss seine Steuerungsverantwortung endlich wahrnehmen. Deshalb hat sich die SPD bevor sie in die Regierung kam, immer für ein Landespflegegesetz ausgesprochen. Sachsen ist bis heute das einzige Bundesland, das so ein Gesetz nicht hat, seit es 2002 außer Kraft getreten ist. Die Staatsregierung hält es auch weiterhin für “nicht erforderlich” mit der Begründung, einen Bedarf zur Förderung von Pflegeeinrichtungen gibt es nicht. Darüber hinaus sieht sie weiterhin keine “Notwendigkeit für eine Landesbedarfsplanung”. Die Verantwortung wird an die Kommunen abgeschoben. Die Online-Plattform “Pflegenetz Sachsen” ist Unterstützung genug. Und das obwohl die Herausforderungen für Sachsen riesig sind. Der Pflegebedarf in Sachsen steigt im Vergleich zu den alten Bundesländern überdurchschnittlich. Im Jahr 2050 werden hier voraussichtlich dreiviertel Rentner einem Viertel Erwerbstätigen gegenüberstehen.
Ebenso wie in der häuslichen Pflege gibt es in der professionellen Pflege einen wesentlich höheren Anteil Frauen. Die Zahlen der Großen Anfrage belegen, der Altenpflegeberuf ist weiblich: 30.000 beschäftigte Frauen in stationären Einrichtungen stehen reichlich 5.000 Männern gegenüber. Im ambulanten Bereich ist der Unterschied noch gravierender: knapp 20.000 weiblichen Beschäftigte stehen knapp 2.500 männlichen Beschäftigte gegenüber – der Anteil der Männer liegt bei rund 10 Prozent. Das liegt unter anderem an den Arbeitsbedingungen: schlechte Bezahlung, geringe Aufstiegschancen, hohe Arbeitsbelastungen und in Folge dessen eine hohe Fluktuationsrate. Wir müssen bessere Arbeitsbedingungen für Frauen im Pflegebereich schaffen. Wenn uns das gelingt, dann haben wir unter Umständen auch eine Chance, mehr Männer in der Pflege zu werben. Es macht Mut, dass im Zeitraum 2005 bis 2013 ein Zuwachs an männlichen Fachkräften von 83 Prozent zu verzeichnen ist. Ihr Anteil liegt dennoch nur bei 9 Prozent.
Wollen wir die Fachkräfteentwicklung in Sachsen im Detail betrachten, wird es schwieriger. Die Staatsregierung kann keine Auskunft darüber geben, wie viele Fachkräfte, die in Sachsen ausgebildet wurden, später abwandern. Ebensowenig ist bekannt, wie hoch der Anteil ausländischer Pflegefachkräfte ist.
Aus Mangel an Pflegekräften setzt die Staatsregierung weiterhin auf nicht professionelle Unterstützung. Nachbarschaftshelfer sollen die Lösung zur Stärkung der nichthäuslichen Pflege sein. Doch die Ressourcen in der Zivilgesellschaft sind begrenzt. Das zeigt die Zahl der Ehrenamtlichen in der Altenhilfe, die über das Landesprogramm “Wir für Sachsen” von 2010 bis 2014 gefördert wurde – sie bleibt gleich hoch und liegt bei ca. 2.300.
Die Schulgelderstattung für Auszubildende in der Altenhilfe ist eine Mogelpackung, wie die Antworten zeigen (Frage IV. 28). In Sachsen wird ein Schulgeld zwischen 60 und 120 Euro erhoben. Auf Antrag werden monatlich bis zu 85 Euro zurückerstattet. Bei einem durchschnittlich zu bezahlenden Schulgeld von 1.020 Euro jährlich, bleiben viele Auszubildende weiterhin auf einem Teil des Schulgeldes sitzen. Das im Koalitionsvertrag angekündigte Versprechen zur Abschaffung des Schulgeldes für Pflegeberufe, ist bis heute nicht eingelöst.
Besorgniserregend sind die Mängel bei der Qualität in der Pflege. Erhebliche Defizite gibt es bei der Schmerzbehandlung in Pflegeheimen. 14,1 Prozent der chronischen Schmerzpatienten waren 2014 ohne systematische Schmerzerfassung. Um dieses unnötige Leid zu verringern, fordern wir in einem Antrag, in Zukunft einen Schwerpunkt auf die Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in stationären Pflegeeinrichtungen zu legen. Experten unterstützen unsere Forderung, wie sich im November letzten Jahres bei einer Anhörung im Sächsischen Landtag zeigte.
Ein weiteres Problem: 20 Prozent der Pflegebedürftigen mit chronischen Wunden erhielten keine ausreichende Wundversorgung. Genau hier ist die Heimaufsicht gefordert, regelmäßig im Sinne der Pflegebedürftigen zu prüfen. Es ist fatal, dass der Kommunale Sozialverband (KSV) – als Zuständiger für die Heimaufsicht – 2013 und 2014 nicht einmal die Hälfte aller stationären Einrichtungen geprüft hat, obwohl eine Prüfquote von 50 Prozent vorgesehen ist. Ich frage Sie, Frau Staatsministerin Klepsch, wie kann die Staatsregierung da zu der Überzeugung gelangen, die Übertragung der Heimaufsicht an den KSV hätte sich bewährt (Frage V. 9.)?
Wir sehen uns in der Kritik und unseren Befürchtungen durch die Antworten in der Großen Anfrage bestätigt: Wer das Geld gibt, kann nicht unabhängig kontrollieren. Die Heimaufsicht kommt damit ihrem Auftrag, Heimbewohner vor Missständen zu schützen, nicht nach (wie im BeWoG formuliert).
Dieser Zustand muss schnellstmöglich beendet werden, denn Menschen, die in Pflegeheimen wohnen, sind in besonderer Weise abhängig und schutzbedürftig. Sie brauchen eine unabhängige Instanz, die darüber wacht, dass auch ihre Würde gewahrt bleibt und die im Zweifelsfall auch ordnungsrechtliche Sanktionsmöglichkeiten wahrnimmt.
Wir teilen die Problembeschreibung in der Altenhilfe in Sachsen und stimmen dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE zu.
Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE:“Situation und Perspektive der Altenpflege im Freistaat Sachsen” (Drs. 6/2167)
28. Sitzung des Sächsischen Landtags, 04. Februar 2016, TOP 6