Große Anfrage Alleinerziehende: „Familien stärken heißt auch Alleinerziehende stärken!“

 

Rede des Abgeordneten Volkmar Zschocke (GRÜNE) zur Großen Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema: „Lebenslagen von ‚allein erziehenden‘ Eltern und ihren Kindern in Sachsen“ (Drs 6/6596) zur 53. Sitzung des Sächsischen Landtags, 12. April, TOP 5.

 

– Es gilt das gesprochene Wort –

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Lebensrealität von Familien hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Allein erziehen ist heute normal. Die offizielle Familienpolitik orientiert sich dagegen allerdings noch all zu oft am Leitbild einer Familie mit zwei Elternteilen. Wer von Ihnen Menschen, die allein erziehen, kennt – kennt vielleicht auch das Selbstbewusstsein, was sie oft ausstrahlen: Ich bin stark, ich schaffe das schon. Doch ein Blick hinter die Fassade zeigt die hohen Belastungen. Alleinerziehende sind Alltagsjoungleure, sind regelrechte Termin- und Ressourcenmanagerinnen. Alleine erziehen ist möglich, ist inzwischen normale Lebensrealität in Sachsen, ist aber oft auch ein Balanceakt.

Zunächst möchte ich mich bei Staatsministerin Klepsch für die umfassende Analyse der Lebenslagen von Alleinerziehenden bedanken, die ihr Ministerium auf unsere über 150 Fragen vorgelegt hat. Uns war klar, dass nicht zu jeder Frage Daten und Erkenntnisse vorliegen. Insofern sind auch die Fehlstellen bei den Antworten ein wertvoller Hinweis auf notwendige weitere qualitative Untersuchungen zu besonderen Lebenslagen.

Um die Antworten aus dem Ministerium richtig einordnen zu können, wäre eine differenzierte Definition des Begriffs Alleinerziehend notwendig. Das ist allerdings nur bedingt möglich, weil das Ministerium bei der Beantwortung natürlich überwiegend auf die Daten des Mikrozensus angewiesen ist. Diese Statistik macht das Merkmal ‚Alleinerziehend‘ an dem Haushalt fest, wo das Kind lebt. Aber wir wissen natürlich, dass die Formen und Partnerschaften, in denen Eltern Kinder erziehen bei den Alleinerziehenden so vielfältig und unterschiedlich sind, wie bei anderen Familien auch.

Allerdings – und das zeigen die Antworten deutlich: Es gibt Herausforderungen, die sich besonders Alleinerziehenden stellen. Sie und ihre Kinder sind häufiger von Armut bedroht. Sie haben schlechtere Ausbildungschancen. Sie haben einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt. Und sie sind oft von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Viele Frauen, die allein erziehen, haben ein geringes Einkommen, die Hälfte von ihnen arbeitet in Teilzeit.

Die Zahl der Alleinerziehenden in Sachsen ist seit 2008 weiter deutlich angestiegen. 2015 waren es 93.000 gegenüber 82.000 im Jahr 2008. Diese Familienform macht aktuell ein Viertel aller Familien in Sachsen aus. 144.000 Kinder lebten 2015 in Familien von Alleinerziehenden. Die Lebensphase, in der Mütter oder auch Väter allein erziehen, braucht deutlich mehr familienpolitische Aufmerksamkeit. Und dabei ist der Fokus eben nicht auf die Frage zu richten >>Warum ist jemand alleinerziehend?<< sondern >>Wie ist das eigentlich zu schaffen? Wie sind die Herausforderungen zu bewältigen?<<.

Und da offenbaren die Antworten einige Handlungsbedarfe:

  • Herausforderung Berufstätigkeit: Es ist für Alleinerziehende oft schwer, eine Tätigkeit zu finden, die sich mit eingeschränkten Betreuungsmöglichkeiten oder häufigen Ausfallzeiten durch kranke Kinder vereinbaren lässt. Familiengerechte Arbeitszeitmodelle haben sich noch nicht überall etabliert. In der sächsischen Verwaltung gibt es zwar eine Vielzahl an Angeboten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auffallend ist jedoch, dass die Angebote in den einzelnen Ministerien und Unternehmen des Freistaates unterschiedlich ausgeprägt sind.
  • Herausforderung Ausbildung und Studium: Es gibt eine kontinuierliche Zunahme von Alleinerziehenden ohne beruflichen Abschluss in Sachsen. 2008 waren 7.300 Alleinerziehende betroffen. 2015 waren es bereits 10.000. Diese Entwicklung steht dem allgemeinen Trend entgegen. Der Anteil der Gesamtbevölkerung ohne beruflichen Abschluss ist um ein Viertel zurückgegangen. Gerade für junge Eltern ist es schwer, mit kleinen Kindern eine Ausbildung oder ein Studium zu absolvieren. Die sächsischen Hochschulen bieten alleinerziehenden Studierenden zwar verschiedene Maßnahmen an, die dazu beitragen, Familie und Studium vereinbaren zu können. Es gibt aber nur an wenigen Hochschulen das Angebot für ein Teilzeitstudium.
  • Herausforderung Kinderbetreuung: Eine in Vollzeit arbeitende Alleinerziehende bräuchte an einem normalen Feierabend eigentlich vier Hände: Abendessen machen, wegen dem Hortplatz telefonieren, Spülmaschine ausräumen, Waschmaschine einräumen, bei Hausaufgaben helfen – in solche Engstellen geraten Alleinerziehend regelmäßig, weil das Zeitfenster für Familienarbeit nach Dienstschluss einfach zu klein ist. Fernab der regulären Kita-Öffnungszeiten gibt es wenig flexible Betreuungsangebote. Diese sind für Alleinerziehende jedoch von großer Bedeutung, damit sie die besonderen Belastung durch Beruf, Erziehung und Haushalt überhaupt bewältigen zu können.
  • Herausforderung Arbeitslosigkeit: Langzeitarbeitslosigkeit trifft verstärkt Alleinerziehende. Diejenigen, die an Maßnahmen der Arbeitsförderung teilnehmen, müssen oft erleben, dass diese mit ihrer Lebenssituation nur schwer in Einklang gebracht werden können. Lediglich der Landkreis Bautzen bietet speziell für alleinerziehende Mütter und Väter Maßnahmen an.
  • Herausforderung gemeinsame Kindererziehung: Wer sich dafür entschieden hat, die Kinder lieber alleine groß zu ziehen, als eine belastende Partnerschaft krampfhaft aufrecht zu erhalten, wird danach wahrscheinlich auch Schwierigkeiten haben, wieder gemeinsame Erziehungsverantwortung im Alltag zu organisieren. Mit diesen Problemen bleiben getrennt lebende Eltern oft allein.

Die Antworten auf die große Anfrage zeigen viele weitere Herausforderungen auf – insbesondere was die gesundheitliche oder wirtschaftliche Situation von Alleinerziehenden betrifft. Sie geraten schnell in einen Teufelskreis: Wer mit den Kindern allein lebt, hat schlechtere Aufstiegschancen im Beruf und durch brüchige Erwerbsbiographien am Ende weniger Rente, hat aber auch im Alltag dann zu wenig übrig, um privat vorzusorgen. Fast die Hälfte der Alleinerziehenden leben im ALG-II-Bezug. Ausbleibende Unterhaltszahlungen bleiben zudem ein großes Problem. Auch im Steuer- und Sozialrecht wird der Lebenssituation von Alleinerziehenden noch viel zu wenig Rechnung getragen.

Zusammenfassend bleibt festzustellen: Eltern werden bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung von Staat und Gesellschaft unterschiedlich, oft nicht hinreichend unterstützt. Es gibt ein Ungleichgewicht in unserer Gesellschaft zu Lasten von Familien und dieses Ungleichgewicht zeigt sich besonders deutlich in den Lebenslagen von Einelternfamilien. Dieses Ungleichgewicht ist auch eine Ausdruck oder eine Folge der nach wie vor bestehenden Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft. Und deswegen möchte ich ganz deutlich sagen:

Familien stärken heißt für uns GRÜNE auch Alleinerziehende stärken!

 

Rede zur Einbringung des Entschließungsantrags:

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit Punkt I unseres Entschließungsantrages haben wir zentrale Schlussfolgerungen aus den Antworten der Staatsregierung zusammengefasst.

Unter Punkt II haben wir eine ganze Reihe von konkreten Handlungsvorschlägen aus den Antworten des Ministeriums abgeleitet.

Wir wollen Alleinerziehende mit all den Herausforderungen im Alltag nicht allein lassen: Unsere Vorschläge reichen vom Ausbau der Beratung für Unternehmen zu familiengerechten Arbeitszeitmodellen, über die Verbesserung der Möglichkeiten für Berufsausbildung und Studium in Teilzeit, die Entwicklung von Angeboten flexibler Kindertagesbetreuung sowie von Hol- und Bringediensten, die Anpassung der Maßnahmen in den Jobcentern an die Lebenssituation Alleinerziehender, die Unterstützung von getrennt lebenden Eltern bei der gemeinsamen Erziehung bis hin zur Stärkung der landespolitischen Interessenvertretung für Alleinerziehende.

Außerdem wollen wir die Gruppen von Alleinerziehenden, zu deren Lebenssituation bisher nur wenig bekannt ist, in den Blick nehmen: Das sind Minderjährige, Zugewanderte und Geflüchtete, Studierende oder Alleinerziehende mit Behinderungen. Auch die gesundheitlichen Belastungen und die daraus resultierende präventiven Maßnahmen müssen genauer analysiert werden.

Meine Damen und Herren, es ist klar: Viele Verbesserungen für Alleinerziehende können nur auf der Bundesebene erreicht werden. Die Einführung einer gleichen staatlichen Förderung für jedes Kind – unabhängig von Einkommen und Steuerstatus der Eltern – gehört dazu.

Auf Landesebene können wir dafür sorgen, dass Alleinerziehende gar nicht erst in einen wirtschaftlichen Teufelskreis geraten, sondern hier in Sachsen eine gute Ausbildung machen können, eine gute Arbeit finden und auch bei Teilzeitbeschäftigung Aufstiegschancen im Beruf haben. Wir können dafür sorgen, dass Alleinerziehende auch Zeiten für Regeneration und die eigene Gesundheitsvorsorge finden. Von besseren Rahmenbedingungen für das Zusammenleben mit Kindern profitieren am Ende alle.

Lassen Sie uns Rahmenbedingung entwickeln, in denen alleine zu erziehen kein Makel ist, kein Lebensrisiko, sondern ein akzeptiertes und im Alltag funktionierendes Lebensmodell. Ich bitte um Unterstützung zu unserem Antrag.

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