Gedanken zum Tschernobyl-Gedenktag

36 Jahre nach Tschernobyl und 11 Jahre nach Fukushima heißt es statt “Atomkraft? Nein danke!” nun vermehrt “Atomkraft? Ja bitte!”. 

Vor dem Hintergrund des schnell fortschreitenden Klimawandels und der durch den Krieg in der Ukraine verschärften Energiekrise wird Kernkraft als unsere Rettung dargestellt. Diese Diskussion kommt keineswegs allein von der AfD. Auch unsere Koalitionspartner in Bund und Land zeigen sich zuweilen offen gegenüber dieser Renaissance-Stimmung. Sie fühlen sich bestätigt durch die Entscheidung der EU-Kommission, Investitionen in Atomkraftwerke als klimafreundlich einzustufen.

Als gegenüber Innovationen und technologischem Fortschritt sehr aufgeschlossener Mensch verstehe ich nicht, warum diese Diskussion plötzlich so erfolgreich ist. Denn die Fakten sprechen eine völlig andere Sprache: 

Atomenergie war und ist die mit Abstand problematischste und teuerste aller verfügbaren Energiequellen. Die enormen Risiken beim Betrieb, beim Rückbau und bei der langfristigen Lagerung sind allesamt nicht gelöst. Angeblich innovative, neue Konzepte existieren seit Jahrzehnten nur in theoretischen Überlegungen. Die behaupteten Klimavorteile können nicht belegt werden, denn auch bei dieser Technologie fallen hohe Emissionen an. Atomkraft war, ist und wird auch nicht wettbewerbsfähig sein. Sie funktioniert nur mit massiver Subventionierung oder in Regie von Staatskonzernen. Über die enormen sicherheitspolitischen Risiken der Kernenergienutzung müsste in einer Zeit, in der atomare Bedrohung wieder unmittelbar ist, ein extra Beitrag verfasst werden – nicht zuletzt auch aufgrund des Importbedarfs bei den Brennelementen.

Meine These ist daher, dass es in dieser neuen Diskussion gar nicht um neue wissenschaftliche, technologische oder volkswirtschaftliche Argumente geht. Es gibt vielmehr einen neuen Zeitgeist. Demnach ist es notwendig, mit den ganzen Ideologien der post-1968er Umweltbewegungen aufzuräumen. Es erscheint eben populär, ja fast schon revolutionär, den wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Konsens zum Atomausstieg als Ergebnis einer geschürten und irrationalen Atomangst von gestern darzustellen.

Natürlich lebt gesellschaftlicher Fortschritt davon, auch alte Zöpfe abzuschneiden. Aber dazu sind dann auch neue Erkenntnisse und rationale Fakten erforderlich. Der wachsende Drang, sich an einer vermeintlichen, alle Institutionen und Diskurse durchziehenden „grünen Hegemonie“ abzuarbeiten, ist allerdings kein substanzieller Beitrag zur Energieforschung.

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