Traktor auf Feld

Faktencheck: Sachsen braucht das Agrarstrukturgesetz

Die Preise für Agrarflächen in Sachsen haben sich seit 2009 mehr als vervierfacht. Allein im Jahr 2023 belief sich der Anstieg auf elf Prozent. Finanzinvestoren, Lebensmittelkonzerne und große Versicherungen drängen auf den Bodenmarkt. Dieser Ausverkauf von Ackerflächen bedroht die Wirtschaftsgrundlage unserer sächsischen Landwirt*innen. Die sächsische Staatsregierung hat deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, unsere Landwirtschaft mit einem Agrarstrukturgesetz besser zu schützen und Bodenspekulation endlich einen Riegel vorzuschieben.

Am 15. März gab die CDU-Fraktion jedoch bekannt, dass sie das Agrarstrukturgesetz in seiner jetzigen Form ablehne und nicht beschließen werde. Knapp eine Woche später machten auch der Sächsische Landesbauernverband e.V., Land schafft Verbindung Sachsen e.V., Familienbetriebe Land und Forst Sachsen und Thüringen e.V. sowie der Genoverband e.V. mit einer Pressemitteilung „Landwirtschaftsverbände in Sachsen lehnen Entwurf zum Agrarstrukturgesetz ab“ ihre Position öffentlich. Dem ging ein Interview von Sachsens Bauernpräsident Torsten Krawczyk vom 15. März voraus.

Die vorgebrachten Äußerungen enthalten jedoch wiederholt grundsätzliche Falschaussagen. Diesen Statements über das Agrarstrukturgesetz werden im Folgenden die Fakten gegenübergestellt und die tatsächlichen Motive hinter der Blockadehaltung herausgearbeitet.

Faktencheck:

Behauptung: Die gegen das Agrarstrukturgesetz sprechenden Akteure sind „die maßgeblichen Interessenvertretungen der Landwirtschaft im Freistaat Sachsen“.

  • Fakt: Die Selbstzuschreibung „maßgeblich“ wertet andere Verbände wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft oder das Bündnis Ökolandbau Sachsen als nicht maßgeblich ab. Das ist eine Anmaßung. Fakt ist, dass nur ein Teil der Verbände das vorliegende Agrarstrukturgesetz ablehnt. Der Berufsstand ist in dieser Frage unterschiedlicher Meinung. Auch innerhalb der Mitgliedschaft des sächsischen Bauernverbandes wird die Frage, ob Sachsen ein Agrarstrukturgesetz braucht, uneinheitlich beantwortet. Der Deutsche Bauernverband plädiert indes FÜR eine Regulierung, die den Ausverkauf von Ackerflächen stoppt.

Behauptung: „Der vorliegende Entwurf des Sächsischen Agrarstrukturgesetzes wird dem Anliegen Bauernland in Bauernhand nicht gerecht.“

  • Fakt: Der Deutsche Bauernverband verfolgt das Ziel einer starken Stellung des bäuerlichen Eigentums, um die Bauernschaft wettbewerbsfähig zu halten. Seit zehn Jahren fordert er daher die Politik auf, Eigentums-Konzentrationen auf den regionalen Bodenmärkten zu vermeiden (Forderung u.a. hier zu finden >). Auch bei den jüngsten Bauernprotesten wurde erneut die Forderung nach einem gesetzlichen Schutz von Ackerland laut. Mit dem sächsischen Agrarstrukturgesetz wird genau das angegangen. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass in Zukunft alle Grundstücksverkäufe angezeigt und genehmigt werden müssen. Es soll zudem eine Preisobergrenze festgelegt werden. Damit sichert das Gesetz DIE zentrale Forderung: Bauernland in Bauernhand.

Behauptung: Das Agrarstrukturgesetz „zielt darauf ab, die gewachsenen Agrarstrukturen in Sachsen zu behindern und in die Berufs- und Eigentumsfreiheit der Landwirtinnen und Landwirte einzugreifen.“

  • Fakt: Falsch. Das Gesetz bietet allen vorhandenen Betrieben in Sachsen vollen Bestandsschutz. Die Betriebe dürfen auch weiterhin wachsen. Aber sie werden künftig vor dem Ausverkauf an landwirtschaftsfremde Investoren geschützt – etwa an Finanzinvestoren, Lebensmittelkonzerne oder große Versicherungen. Der eigentliche Grund für die Ablehnung des Gesetzes ist die Angst vor Entwertung bzw. Enteignung von Bodeneigentum. Doch der Gesetzentwurf sieht Preisobergrenzen vor: 30 Prozent über dem Marktpreis beim Kauf und 50 Prozent (!) über der ortsüblichen Pacht. Wer angesichts eines solch großen Spielraums einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit propagiert, hat offensichtlich eine deutlich lukrativere Verwertung von Ackerland im Sinn – weit jenseits von den Preisen, die von Landwirtinnen und Landwirten gezahlt werden können. Auch die geplante Flächenkonzentrationsgrenze ruft den Widerstand einzelner großer und marktbeherrschender Betriebe hervor, die auch im Landesbauernverband starken Einfluss ausüben. Ackerboden ist aber nicht vermehrbar. Die vorgesehene Flächenbegrenzung stellt keinen Eingriff in die Berufsausübung dar, sondern will lediglich die Flächenentwicklung nicht vollständig dem unübersehbaren Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen überlassen. Es gibt Bestandsschutz für alle Betriebsgrößen und bestehende Betriebe können bis zur Flächenkonzentrationsgrenze von 2.500 Hektar weiterhin wachsen.

Behauptung: „Es steht zwar im Koalitionsvertrag der Landesregierung, aber es ist drei Jahre lang nichts passiert. Und jetzt, im Wahljahr, fängt man an, das Thema nach vorn zu bringen?“

  • Fakt: Dieser Vorwurf ist haltlos. Seit 2020 haben knapp 50 (!) Abstimmungsrunden zum Gesetz stattgefunden – mit Verbänden, mit der CDU-Fraktion, in der Staatsregierung, mit dem Landtag (mehr dazu in der Chronologie). Bereits im Mai 2022 fand auf Einladung des Landwirtschaftsministeriums ein Verbändegespräch zur Vorstellung und Diskussion des Agrarstrukturgesetzes statt. Der Gesetzentwurf wurde im Verlauf einer intensiven und transparenten Verbändeanhörung mehrfach geändert und angepasst und im September 2023 von der Staatsregierung gemeinsam verabschiedet. Seitdem wird der noch ausstehende Beschluss des Gesetzes im Landtag tatsächlich ins Wahljahr verschleppt – aber von der CDU-Fraktion, offensichtlich aus wahltaktischen Gründen. Denn auch nach mehrmaliger Aufforderung nennt die CDU bisher keine inhaltlichen Änderungsbedarfe am Gesetz. Offenbar geht es nur darum, den politischen Erfolg dieses Gesetzes in dieser Legislatur zu verhindern.

Behauptung: Im Agrarstrukturgesetz „sind Dinge hinzugekommen, die gar nicht besprochen wurden, und es ist viel Ideologie und Emotionalität im Spiel.“

  • Fakt: Diese Behauptung ist nicht nachzuvollziehen und erinnert eher an unfreiwillige Selbstkritik. Denn Verbände und CDU-Fraktion waren an der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs sehr eng beteiligt – weit über das für die Gesetzgebung übliche Maß hinaus. Alles, was im vom Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf steht, wurde mit den Verbänden intensiv besprochen. Die vorgebrachten Argumente gegen das Gesetz wurden in einem langen Prozess mit den Verbänden und allen Koalitionspartnerinnen nachweisbar diskutiert und ausgeräumt. Mit ihrer nun vorgebrachten Ablehnung schaden der Bauernverband, Land schafft Verbindung und CDU-Fraktion den ureigenen Interessen der Landwirtinnen und Landwirte sowie dem ländlichen Raum – nämlich dem Schutz vor Ausverkauf. Einmal aufgekaufte Betriebe sind weder weiter Mitglieder im Bauernverband noch Ansprechpartner für Aktivitäten in der Region für Lokalpolitik oder Vereine und Gemeinden. Am Ende gibt es vor Ort oft nicht einmal mehr Ansprechpartner der Konzerne.

Behauptung: „Eine vielfältige Struktur entwickelt sich auch so, da braucht es nicht zusätzlich noch ein Gesetz.“

  • Fakt: Diese Behauptung ist doppelt irreführend: Zum einen begründet die Tatsache, dass es eine vielfältige Struktur gibt, die Notwendigkeit, diese zu bewahren und gesetzlich vor dem Angriff landwirtschaftsferne Finanzinvestoren zu schützen. Zum anderen soll das Agrarstrukturgesetz jenseits einer vielfältigen Struktur sicherstellen, dass Landwirtinnen und Landwirte sich Ackerland überhaupt noch leisten können. Während 2009 der Hektar Agrarland in Sachsen noch rund 5.000 Euro kostete, waren es 2022 bereits mehr als 21.000 Euro. Allein im Jahr 2023 belief sich der Anstieg der Preise für Ackerland auf elf Prozent. Wer dieser Entwicklung keinen gesetzlichen Riegel vorschieben will, hat offenbar ein starkes Eigeninteresse, an der rasanten Wertsteigerung der Böden und Flächen mitzuverdienen.

Behauptung: „Es gibt ein Grundstückverkehrsgesetz, das geändert werden könnte. Dort könnte man festlegen, ob es bestimmte Preisobergrenzen gibt und wer privilegiert ist.“

  • Fakt: Das ist eine Nebelkerze. Der Bund kann dieses Gesetz gar nicht mehr ändern. Denn seit der Föderalismusreform im Grundgesetz aus dem Jahr 2006 ist hierfür die Gesetzgebungskompetenz vom Bund auf die Länder übertragen worden. Seitdem fordert der Bund regelmäßig die Länder zum Handeln auf, wiederholt auch durch die vormalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU). Sachsen kommt genau dieser Forderung jetzt mit dem Landes-Agrarstrukturgesetz nach. Die vorgetragene Behauptung, Sachsen solle statt einem Agrarstrukturgesetz das Grundstückverkehrsgesetz ändern, ist eine bewusste Verdrehung der Rechtslage.

Dieser Faktencheck lässt im Ergebnis nur einen Schluss zu:

Bauernverband und CDU-Fraktion sind dabei, einen großen Fehler zu machen. Unser sächsisches Ackerland ist zu wichtig, um damit ideologische Grabenkämpfe und Wahlkampf zu veranstalten. Es geht um den dringend notwendigen Schutz unserer sächsischen Böden vor Großinvestoren. Wer das Agrarstrukturgesetz ablehnt, handelt eindeutig gegen die Interessen der sächsischen Bäuerinnen und Bauern und sorgt dafür, dass Ackerland weiter zum Spekulationsobjekt verkommt. Der Beschluss des Agrarstrukturgesetzes im Landtag muss im Mai erfolgen. Das ist die einzig sinnvolle Entscheidung – für die sächsische Landwirtschaft und für die CDU.

Die Chronologie zum Agrarstrukturgesetz:

  • 10. Juni 2020: Erstmalige Information verschiedener CDU-Abgeordneter über die Planungen zum Agrarstrukturgesetz mit dem Ziel einer frühzeitigen Einbindung
  • 22. September 2020: Beschluss der Regierungsplanung für die Jahre 2020 bis 2022, vorgesehene Kabinettsbefassung des Agrarstrukturgesetzes: 15. Dezember 2020
  • 28. Dezember 2020: Regierungsplanung zur Umsetzung des Agrarstrukturpakets im Kabinett
  • 19. Mai 2022: Koalitionsarbeitskreis. Anschließend Verbändegespräch auf Einladung des Landwirtschaftsministeriums mit dem Sächsischen Landesbauernverband, der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, den Familienbetrieben und dem Bündnis Ökolandbau
  • 17. Oktober 2022: Vorstellung des Sächsischen Agrarstrukturgesetzes und des Höfegesetzes auf der Ost-Agrarministerkonferenz
  • 12. Januar 2023: Vorstellung des Sächsischen Agrarstrukturgesetzes und des Höfegesetzes im Rahmen eines Verbändegespräches bei der Klausur des Sächsischen Landesbauernverbandes
  • 14. März 2023: Erste geplante Freigabe zur Anhörung. Diese wurde aufgrund weiterem Gesprächsbedarfs gestoppt.
  • 4. April 2023: Zweite geplante Freigabe zur Anhörung. Diese wurde aufgrund weiterem Gesprächsbedarfs gestoppt.
  • 18. April 2023: Kabinett gibt den Gesetzentwurf zur Anhörung frei (vorher Absprache zum Stand im Koalitions-Arbeitskreis am 2.3.2023)
  • 19. Juni 2023: Verbändegespräch des Sächsischen Landesbauernverbandes
  • 22. August 2023: Gesetzentwurf kommt nicht auf die Tagesordnung des Kabinetts, da weitere Abstimmung mit den Verbänden eingefordert wird
  • 25. August 2023: Verbändegespräch auf Einladung des Landwirtschaftsministeriums mit Land schafft Verbindung, Bündnis Ökolandbau, Familienbetrieben, Genossenschaftsverband, Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft und Sächsischer Staatskanzlei; anschließend Absage der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft
  • 29. August 2023: Darstellung des Zeitplans im Koalitionsausschuss, vorgesehener Beschluss im Sächsischen Landtag Ende Januar/Anfang Februar 2024
  • 8. September 2023: Verbändegespräch zum Gesetzentwurf im Sächsischen Landtag mit Bündnis Ökolandbau, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Sächsischer Staatskanzlei und den zuständigen Abgeordneten der Fraktionen (Sächsischer Landesbauernverband, Familienbetriebe, Genossenschaftsverband und Land schafft Verbindung nicht erschienen)
  • 11. September 2023: Verbändegespräch des Sächsischen Landesbauernverbandes
  • 19. September 2023: Verbändegespräch zum Gesetzentwurf auf Einladung des SMEKUL mit Bündnis Ökolandbau, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Sächsischer Staatskanzlei und den zuständigen Abgeordneten der Koalitionsfraktionen (Sächsischer Landesbauernverband, Familienbetriebe, Genossenschaftsverband und Land schafft Verbindung nicht erschienen)
  • 26. September 2023: Kabinett beschließt die Einbringung des Gesetzentwurfes in den Sächsischen Landtag
  • 5. Oktober 2023: Veröffentlichung des Entwurfs im Sächsischen Landtag
  • 25. Oktober 2023: Mitberatung des Gesetzentwurfs im Haushalts- und Finanzausschuss des Sächsischen Landtages
  • 26. Oktober 2023: Darstellung von Zielen und Sachstand des Gesetzentwurfs im Ausschuss für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft
  • 18. Januar 2024: Öffentliche Anhörung des Gesetzentwurfs im Ausschuss für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft
  • ???? Beschluss des Agrarstrukturgesetzes wird von CDU-Fraktion und einzelnen Verbänden infrage gestellt

Der Beitrag ist zuerst auf der Seite der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Landtag Sachsen erschienen.

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