Debatte im Landtag ‚Waldsterben 2.0 verhindern‘

Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (GRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE: ‚Waldsterben 2.0 verhindern – der sächsische Wald braucht gemeinsames Handeln im Klimawandel‘ 6. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 30. Januar, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

einige von Ihnen können sich noch an das massenhafte Baumsterben in den 80er-Jahren erinnern. Der Anblick dieser schaurigen, endlosen Reihen aus Baumskeletten im Erzgebirge hat sich damals tief in meine kindliche Seele eingebrannt.

Damals war es die Chemie- und Braunkohleindustrie auf beiden Seiten des Erzgebirges, die vor allem Schwefel- und Stickoxide ungefiltert über den Erzgebirgskamm bliesen. Über 100 Quadratkilometer Wald starben allein auf der deutschen Seite völlig ab.

Ich habe damals als Schüler ganze Wochenenden bei Baumpflanzaktionen verbracht, um irgendwie gegen diese Katastrophe anzukämpfen. Nicht hilflos zuschauen zu müssen, etwas tun zu können, war damals für mich eine sehr wichtige Erfahrung. Und gemeinsames Handeln half dem Wald dann auch – zumindest bis auf weiteres – zu überleben. Es gab verschärfte Abgasvorschriften, Rauchgasentschwefelung, Katalysatorpflicht und flächendeckende Wiederaufforstung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Waldsterben 2.0 verhindern – der Debattentitel klingt dramatisch. Die aktuelle Situation ist es auch.

Die Ursachen für die aktuellen Waldschäden lassen sich auch nicht mehr allein mit Filtern und Abgaskatalysatoren eindämmen. Es hat globale Dimensionen angenommen.

Nicht nur sächsischer Wald wurde in den letzten drei Jahren von den schwersten Stürmen seit 25 Jahren getroffen – mit Schadholzmengen in enormen Dimensionen. Die anhaltende Trockenheit der letzten zwei Jahre – sowohl im Sommer als auch im niederschlagsarmen Winter – steht offenbar im Kontext globaler Klimaentwicklungen.

Die Waldböden sind großflächig ausgetrocknet. Bekommen Fichten zu wenig Wasser, können sie sich nicht mehr gegen Schädlinge zur Wehr setzen. In Folge konnten sich in Ost- und Mittelsachsen, in Teilen des Erzgebirges oder der Sächsischen Schweiz Borkenkäferpopulation in ungeahnter Größenordnung ausbreiten. In vielen weiteren Teilen Sachsen leiden auch Kiefern, Laubbäume – auch die Buchen – zunehmend unter der Trockenheit, unter Schadinsekten und Pilzen. 30 Prozent der Waldbäume weisen inzwischen deutliche Schäden auf. Noch nie waren so viele Bäume angegriffen und geschädigt.

Auch meiner Heimatstadt Chemnitz gehören einige Wälder im Erzgebirge. Wirtschaftliche Preise lassen sich mit Bruch- oder Käferholz für die Kommunen längst nicht mehr erzielen. Die heimischen Sägewerke können den enormen Anfall gar nicht mehr bewältigen. Und beim Staatsbetrieb Sachsenforst sind Kapazitäten und Ressourcen zur Beseitigung so gut wie erschöpft.

(…)

Gute Forstwirtschaft ist unter diesen Bedingungen kaum noch möglich. Sie allerdings einzustellen, ist keine Alternative. Dies hätte großflächiges Absterben von Wäldern zu Folge – mit enormen volkswirtschaftlichen Schäden und dem Verlust unbezahlbarer ökologischer Funktionen.

Gute Forstwirtschaft ist unter diesen Bedingungen kaum noch möglich. Sie allerdings einzustellen, ist keine Alternative. Dies hätte großflächiges Absterben von Wäldern zu Folge – mit enormen volkswirtschaftlichen Schäden und dem Verlust unbezahlbarer ökologischer Funktionen.

„Der sächsische Wald braucht jetzt unser gemeinsames Handeln“ Wir haben diesen Titel bewusst gewählt, um heute darüber zu reden,
was unmittelbar und mit notwendiger Konsequenz in diesem Jahr zur Schadensbeseitigung getan werden muss
was insgesamt für einen schnelleren Waldumbau getan werden muss
wie wir möglicherweise aus den Fehlern bei der Aufforstung nach den Rauchschäden in den 80zigern lernen
und was insgesamt für einen wirksamen Klimaschutz getan werden muss, um nicht nur dem Wald eine Zukunft zu geben.

Und wir können heute auch darüber reden,
wie wir GEMEINSAM handeln, so dass der Sachsenforst, kommunale und private Waldbesitzer die Katastrophe nicht mehr allein abwenden können,
dass wir eine breite Akzeptanz für die anstehenden, zum Teil sehr einschneidenden Maßnahmen, bei der Bevölkerung brauchen
Und auch darüber, wie Schülerinnen und Schüler und die vielen Waldinteressierten sich im und für den Wald engagieren können

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich danke für die Debatte, die mit großer Ernsthaftigkeit geführt wurde. Es ist deutlich geworden, was zu tun ist:

Kurzfristig deutlich mehr Mittel für die Bewältigung der Waldschäden bereitstellen, so wie vom Kabinett letzte Woche angekündigt. Ich gehe davon aus, dass der zuständige Minister gleich noch genau erläutern wird.

Sehr zügig alle Anstrengungen unternehmen, um die Schadensausbreitung zu stoppen, befallenes Holz schnell aus dem Wald zu holen, um den verfügbaren Brutraum für die Schadinsekten soweit wie möglich zu begrenzen.

Eine Öffentlichkeitsarbeit forcieren, die insbesondere den erholungssuchenden Menschen aus der Stadt die Maßnahmen erklärt. Viele Wege im Wald sind beschädigt. Das wird sich angesichts des weiteren Handlungsbedarfes zeitnah nicht ändern lassen. Wir müssen erklären, warum die touristische Nutzung eingeschränkt bleibt und warum es im Zweifel nur mit schwerer Technik geht.

Der Umbau hin zu naturnahen und langfristig klimastabilen Mischwäldern muss beschleunigt werden. Hier brauchen wir die Forstwissenschaften, um Fehler bei der Auswahl der Baumarten und Bewirtschaftung in einem sich veränderndem Klima zu vermeiden.

Wir können von der Natur selbst auf bestimmten Referenzflächen lernen. Beispiel: Lugstein bei Zinnwald: Auch dort war vor 30 Jahren alles abgestorben. Dort ist ganz von selbst ein stabiler Mischwald entstanden. Auch darum muss es in den nächsten Jahren gehen: verantwortungsvoll einen Teil der Flächen aus der wirtschaftlichen Nutzung zu nehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Krise ist auch eine Chance, den Wald wieder verstärkt als ein hochkomplexes Ökosystem verstehen zu lernen und zu behandeln.

Die Nutzfunktion des Waldes ist insgesamt neu justieren. Es geht um mehr Naturnähe und biologische Vielfalt. Wald ist viel viel mehr als Holzproduktion. Er ist Lebensraum für unzählige Arten, er hat unbezahlbare Funktionen für Luft, Wasser, Klima und Erholung. Er ist eine unersetzbare Lebensgrundlage für uns Menschen. Es geht darum, gemeinsam das zu Erhalten was uns erhält.

Veröffentlicht am 30. Januar 2020 um 13:25 Uhr.

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