Dieser wichtigen Frage gingen wir heute in einer öffentlichen Sitzung der Fraktionsgemeinschaft BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Chemnitzer Stadtrat zusammen mit vielen interessierten Bürger:innen und geladenen Gästen aus der Stadtgesellschaft nach.
Bereits das Gutachterverfahren aus 2014/2015 zur städtebaulichen Weiterentwicklung der Chemnitzer Innenstadt verfolgte die Maßgabe, lebendige grüne Verbindungen zwischen Zentrum und angrenzenden Stadtquartieren zu ermöglichen
-> über die Theaterstraße zum Chemnitz-Fluss sowie zu Markthallenviertel und Kaßberg,
-> über die Bahnhofstraße zu Reitbahnviertel, Johanniskirche, Park der Opfer des Faschismus und Sonnenberg
-> über die Brückenstraße Richtung Brühl und Kulturquartier. Insbesondere der Behördenstandort hinter dem Karl-Marx-Monument spielt bei dieser Entwicklung eine wichtige Rolle.
Gemeinsam warfen wir zunächst einen Blick auf den damaligen Siegerentwurf des Gutachterverfahrens. Dieser enthält auch konkrete Vorschläge zur Nutzung und Gestaltung des öffentlichen Raumes im Bereich der Brückenstraße. Dazu gehören beispielsweise die Öffnung des Erdgeschoßbereiches des Behördengebäudes hinterm Monument oder der Verzicht auf Parkplätze zu Gunsten von Gartenflächen. Sieben Jahre später werden die damaligen Gestaltungsideen im Zuge der Planung der Stadtbahnlinien des Chemnitzer Modells wieder sehr aktuell. In der Fraktionssitzung versuchten wir, verschiedene Perspektiven und Sichtweisen zusammenzubringen und gemeinsam konkrete Ideen zur Gestaltung des öffentlichen Raumes zu diskutieren:
Diplombiologin Sylvia Uhlemann von der öko-agentur stellte Wärmebilder von der Brückenstraße vor. Im Sommer heizt sich das Areal extrem auf. Eine Möglichkeit wäre ihrer Meinung nach, den Stadthallenpark über die Brückenstraße hinaus zu öffnen. Sie warb für Bäume, Grünflächen, Rasengleise, grüne Dächer und Fassaden, da das Grün nachweislich der Erhitzung entgegenwirke: „Jeder Baum, jede Grünfläche zählt. Alles, was wir ohne große Hürden tun können, sollten wir auch tun.“
Laut Michael Stötzer, Bürgermeister für Stadtentwicklung und Bau sollte der Bereich um das Karl-Marx-Monument für die Stadtgesellschaft offen sein und bleiben. Mit Blick auf die klimatischen Veränderungen dürfe die Brückenstraße nicht isoliert, sondern immer im Verbund angrenzenden Arealen oder Frischluftschneisen betrachtet werden. Er hält die Pflanzung von 30 bis 40 Bäumen im Bereich für realistisch möglich, eine Öffnung des unterirdisch verlaufenden Gablenzbaches jedoch eher nicht, da dieser mit 4 Metern dafür zu tief liege. Er wies auf unterschiedliche, zum Teil auch gegensätzliche Interessen und Rahmenbedingungen hin (Denkmalschutz versus Klimaschutz, Leitungen versus Wurzeln/Baumkronen oder Veranstaltungsflächen versus Verkehrsflächen/Gleiskörper). Die Handlungsspielräume der Stadtgestaltung seien dadurch begrenzt: „Ich wünsche mir Konsensfähigkeit auch bei widerstreitenden Interessenslagen und Kommunikationsräume direkt vor Ort, die die Planung permanent ausstellen und Feedback zulassen.“
Die Künstlerin Stephanie Brittnacher stellte mit dem von ihr gestalteten Wimmelbild die Utopie einer lebendigen, urbanen Innenstadtgestaltung vor. Sie erinnerte daran, dass es bei der Stadtgestaltung immer um Gestaltung für Menschen geht und wie klimatische Bedingungen unsere Lebensräume beeinflussen: „Die letzten Sommer haben uns klar vor Augen geführt, was in Sachen Stadtentwicklung alles nachrangig wird, wenn sich einfach niemand mehr da aufhalten will.“
Frank Kotzerke vom Stadtforum ging auf die Barrierewirkung der Brückenstraße ein und erläuterte, warum der Autoverkehr nicht zwingend entlang der Brückenstraße geführt werden müsse. Er warb für eine Straße nur mit ÖPNV, Fußgänger:innen und Fahrradfahrenden. Auch er unterstrich, dass die Gestaltung auf das Maß des Menschen zurückkehren müsse: „Eine lebenswerte Innenstadt ist wie eine gute Party – die Leute bleiben länger, als sie es eigentlich geplant hatten.“
Ulrike Voigt vom Nimm-Platz-Projekt am Karl-Marx-Monument erzählte, warum sie gerade diesen Raum gemeinsam mit Freund:innen und Familie zurückerobern wollte. Seit Frühjahr 2020 erfolgte im Rahmen des Projektes die Bepflanzung von Beeten entlang der Brückenstraße plus Pflege. Sie berichtete von positivem Feedback seitens der Bevölkerung und guter Zusammenarbeit mit den städtischen Ämtern. Das Projekt erhielt überregionale Aufmerksamkeit in den Medien. Sie wünscht sich mehr Sitzbänke, Wasserspender, Blühwiesen, Bäume, belebte Erdgeschoßpassagen, Cafés und einen Fußgängerübergang in der Mitte der Brückenstraße,.
Der Pressesprecher vom VMS Falk Ester wünscht sich für 2030 weniger Verkehr in der Innenstadt, bezahlbaren ÖPNV und mehr Grün. Er verwies aber auch darauf, dass auf den Gleisen in der Brückenstraße künftig in jede Richtung 10 Bahnfahrten pro Stunde geplant sind, also alle 3 – 4 Minuten eine Bahn. Für eine Durchlässigkeit Richtung Brühl hält er es für notwendig, auch das Areal hinter der “Parteisäge” attraktiv zu erschließen. In Bezug auf die weitere Zeitschiene hofft er, dass Ende dieses Jahres die Entwurfsplanung fertig ist und an die Stadtverwaltung übergeben werden kann. 2023 folge dann die Planfeststellung, die Bauausführung sei nicht vor 2026 geplant.
Coretta Storz, Sprecherin der BÜNDNISGRÜNEN Chemnitz wünscht sich neben dem bereits Gesagtem auch eine sichere und barrierearme Innenstadt, eine Innenstadt, mit Lebensraum, der allen zur Verfügung stehe. Sie warb dafür, verschiedene Interessen zusammenzuführen, statt gegeneinander auszuspielen: “Kein Tourist will zu Hause erzählen, dass es am Nischl zu heiß war, um eine Postkarte zu schreiben, und kein Denkmal will allein im Grauen stehen – daher sollten wir alles dafür tun, um gemeinsam unsere Innenstadt für alle möglichst lebenswert zu gestalten.”
Auch die Besucher:innen der Veranstaltung haben sich in die offene Diskussionsrunde eingebracht. Es gab einen vielfältigen Austausch darüber, wie mit Blick auf die bisherigen Planungen für die Brückenstraße das Stadtzentrum noch besser gestaltet werden kann. Unter anderem diskutierten wir:
-> Wie sieht das Mobilitätsangebot aus?
-> Welche Rolle spielt Denkmalschutz für die Planungen?
-> Wie wird Barrierefreiheit umgesetzt?
-> Welche Bedeutung hat die Kreativachse?
-> Wieviel Stadtgrün ist machbar und wie soll es aussehen?
-> Wie kann menschlichen Bedürfnissen besser entsprochen werden (Trinkbrunnen, Toiletten etc.)
-> Wie erhält die Innenstadt ihren Charakter als öffentlichen, politischen Raum?
-> Ist eine Verkehrsberuhigung möglich?
Der Vorstoß der BÜNDNISGRÜNEN Fraktionsgemeinschaft aus dem Jahr 2021, die Planung in Richtung einer künftigen Verkehrsberuhigung der Brückenstraße anzupassen, fand keine öffentliche Unterstützung – im Gegenteil: Die öffentlichen Reaktionen waren sehr ablehnend. Demzufolge fand unser Antrag im Stadtrat auch keine Mehrheit. Somit werden in der Brückenstraße neben den Bahngleisen künftig zwei Fahrspuren für Autos verlaufen. Das ist das bisherige Ergebnis der Bürger:innenbeteiligung sowie der demokratischen Entscheidung des Rates. Ein Video mit dem aktuellen Stand der Planungen steht hier zur Verfügung. Ansonsten sind die bisher veröffentlichen Planungsunterlagen hier zu finden. Dennoch werden im Rahmen der Entwurfsplanung nun die Fragen der Gestaltung des öffentlichen Raums konkreter zu beantworten sein. Höchste Wichtigkeit hat in diesem Prozess, dass sich mehr Stimmen öffentlich zu Wort melden, denen menschengerechte Gestaltungen unserer Innenstadt wichtiger sind als alte Gewohnheiten von Autofahrenden. Sich erst dann zu äußern, wenn die Weichen durch Beschlüsse gestellt sind, ist zu spät. Unsere bündnisgrünen Türen stehen offen, um zum Thema im Gespräch zu bleiben.