19. Sitzung des Sächsischen Landtags, 16. September 2015
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident, meine Damen und Herren,
lieber Martin Dulig,
vielen Dank für den Bericht aus dem Wirtschaftsministerium. Dass ein sozialdemokratischer Arbeitsminister fleißig arbeitet – daran habe ich keine Zweifel.
Doch allein mit Fleiß und Tüchtigkeit, mit anspornenden Erklärungen schaffen wir das moderne Sachsen noch nicht.
Der 25. Jahrestag der Wiedervereinigung steht unter dem Motto “Grenzen überwinden”. Auf dem Weg zu einem modernen Sachsen müssen noch einige Grenzen überwunden werden. Ich bin mir nur nicht sicher, ob die Regierungskoalition in ihrer Gesamtheit wirklich dazu bereit ist.
Viele dieser Grenzen sind im Kopf: Vorbehalte, alten Gewohnheiten. Einige Grenzen sind real: fehlende oder nicht leistungsfähige Infrastruktur, Fachkräftemangel, Demographie. Nach wie vor werden in unserer Gesellschaft Menschen ausgegrenzt wegen Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, sozialer Herkunft oder sexueller Orientierung.
Grenzen erwachsen auch aus Ängsten: Die Fremdenfurcht ist in Sachsen überdurchschnittlich hoch. Sie zieht als Prozession der Angstmacher und Angsthasen hier jeden Montag durch die Stadt.
Deshalb möchte ich eines voranstellen: Ausgrenzung, Angst vor Fremden, Angst vor Veränderung und Abschottung führen nicht zu einem modernen Sachsen!
Die Unternehmen haben das längst erkannt. Da steht zum Beispiel auf einem großen Banner an der Nomos-Uhrenmanufaktur in Glashütte:
“Wir ticken international. Nein zu rechtem Gedankengut. Ja zu Toleranz und Weltoffenheit und Menschen, die jetzt unsere Hilfe brauchen.”
Glashütte – da sind Freital und Heidenau nahe. Gut, dass Unternehmen hier Flagge zeigen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit.
Denn wenn ganze Regionen zur Tabuzone für dringend benötigte Fachkräfte werden, kommen existenzielle Probleme auf die Firmen zu. Weltoffen zu sein, ist überlebensnotwendig für unsere kleine sächsische Welt.
Danke Herr Dulig, dass Sie den Blick auf die große Hilfsbereitschaft für Flüchtlinge in Sachsen lenken. Eine Aussage ist mir allerdings unklar geblieben: Sie wollen politische Entscheidungen, um die vielen Menschen dauerhaft bei uns zu integrieren. Unterstützen Sie hier die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, den Zustrom von Flüchtlingen auf ein sogenanntes “integrationsfähiges Maß” zu begrenzen? Oder halten Sie es mit Frau Merkel, dass das Grundrecht auf Asyl keine Obergrenze kennt?
Die Frage, was nun gilt, muss aber auch Ihr Koalitionspartner beantworten.
Was sind wir eigentlich bereit zu tun, dass die Menschen aus Syrien, Tunesien, Libyen, Eritrea oder Afghanistan, von denen Sie, Herr Dulig gesprochen haben, auch unsere Kolleginnen und Kollegen werden wollen? Und nicht nach dem Asylverfahren sofort die Koffer packen, um so schnell wie möglich aus Sachsen zu verschwinden?
Ein großes Volksfest, wo die Sachsen sich vor allem selbst feiern, hilft da nicht weiter. Vielleicht feiern wir statt dessen nächstes Jahr in Limbach-Oberfrohna mal ein interkulturelles Begegnungsfest?
Öffentliche Diskurse über Patriotismus, Heimat, Nation oder nationale Identität, wie sie sich besonders bei der sächsischen CDU nach wie vor großer Beliebtheit erfreuen, helfen da auch nicht weiter – im Gegenteil:
so lange Sachsen die Statistik fremdenfeindlicher Gewalt anführt,
so lange Sachsen Wohlfühlort für Fremdenfeinde bleibt,
so lange PEGIDA weiter die Touristen vergrault und Sachsens Ruf als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort beschädigt, bleibt Sachsen ein schwieriges Pflaster für Unternehmensansiedlungen und für die Anwerbung von Talenten und kreativen Köpfen.
Hier liegt es an uns allen, die Grenzen sächsischer Introvertiertheit zu überwinden:
Weniger selbstverliebter Sachsenstolz, mehr Offenheit und Neugier auf die Welt und die Menschen, die bei uns bleiben wollen.
Weniger ängstliche Nabelschau, mehr Blick über den Tellerrand.
Weniger trotziges Freistaatsgebaren, mehr Selbstbewusstsein als europäische Region.
Weniger eitles “So geht sächsisch”, mehr “Willkommen in Sachsen”!
Meine Damen und Herren, auf dem Weg in ein modernes Sachsen müssen wir eine weitere Grenze überwinden:
Das ist der immer noch – auch hier im Parlament – verbreitete Irrglaube, dass Ökonomie, Ökologie und Gerechtigkeit widerstreitende Kräfte sind.
Das Gegenteil ist der Fall: Die ökologische Modernisierung von Industrie und Gesellschaft ist Grundlage künftiger Wertschöpfung.
Nicht umsonst beschreibt die sächsische Innovationsstrategie Umwelt, Kreislaufwirtschaft, Bodensanierung, nachhaltige Wasserwirtschaft, Rohstoff- und Energieeffizienz oder auch Intermodalität und neuartige Verkehrsnetze als zentrale Zukunftsfelder für innovationsgetriebenes Wachstum.
Um aber eine nachhaltige Wirtschaftsweise zu erreichen, müssen wir viel verändern – angefangen von der Energieerzeugung, bei der Mobilität, in der Industrie, bei den Produkten.
Diese Veränderungen verlangen den Menschen oft einiges ab. Nicht alle sind sofort bereit, sich umzugewöhnen. Oder neue Industrieansiedlungen wie Windkraftwerke zu akzeptieren.
Es ist nicht sinnvoll, diese Bürger als Querulanten und Verhinderer zu diskreditieren. Sobald es neben befürchteten und realen Nachteilen auch Vorteile und Nutzen für den Einzelnen gibt, gibt es auch mehr Unterstützung.
Lasten und Nutzen des ökologischen Wandels müssen gerecht verteilt werden. Ohne diese Gerechtigkeit und ohne soziale Gerechtigkeit wird es keine Mehrheiten für den Umbau geben.
Diese Hürde zu überwinden, ist nicht leicht. Aber es gibt Verfahren und Methoden: Die enviaM hat richtungsweisende Konzepte entwickelt, wie Bürger frühzeitig zum Beispiel beim Netzausbau beteiligt werden.
Entscheidend wird sein, ob die Koalitionspartner den gemeinsamen politischen Willen haben, die Menschen für den Umbau zu gewinnen, oder ob Sie lieber aus der Furcht vor Veränderung politisch Kapital schlagen wollen.
Beispiele dafür gibt es leider genug.
Ich sage das ganz deutlich: Wer Ökologie, Ökonomie und Gerechtigkeit immer noch gegeneinander ausspielt, wird keinen Weg zu einem modernen Sachsen finden!
Meine Damen und Herren,
beim parlamentarischen Abend des MDR hat Dr. Rösler erneut und leidenschaftlich die trimediale Strategie unserer Rundfunkanstalt beworben. Ich finde das richtig gut. Ja, so schaffen wir das moderne Sachsen für alle Generationen in einer Welt, in der sich Informationen immer schneller und komplexer verbreiten.
Ich finde das gut, denn ich wohne in der Stadt. Wer in Sachsen auf dem Land wohnt, kann von schnellem Internet oft nur träumen. Nicht einmal die Hälfte der Haushalte ist mit 16-Megabit-Leitungen versorgt.
Versuchen Sie da mal, halbwegs flüssig einen Beitrag aus der Mediathek zu streamen. Diese digitale Kluft zwischen Stadt und Land ist wirklich eine große Grenze bei der Modernisierung aller sächsischer Regionen. Ich höre die Worte von Herrn Dulig wohl. Allein mir fehlt derzeit noch der Glaube an flächendeckend 50 Megabit im Jahr 2018.
Sachsen muss aber den fundamentalen Wandel zur digitalen Gesellschaft in den nächsten Jahren schaffen, sonst verlieren wir den Anschluss.
Die Verfügbarkeit und zunehmende Vernetzung immer größerer Datenmengen bringen tiefgreifende Veränderungen in fast allen Lebensbereichen mit sich und da hänge ich jetzt die Messlatte auch mal hoch, Herr Dulig:
1. In einem modernen Sachsen gehört die Bereitstellung eines Breitbandanschlusses überall zur Daseinsvorsorge.
2. In einem modernen Sachsen ist Industrie 4.0 konsequent verknüpft mit Ressourcen- und Energieeffizienz, weil ökonomischer Erfolg und ökologische Nachhaltigkeit eben untrennbar sind.
3. In einem modernen Sachsen gelten in der digitalen Arbeitswelt etablierte Standards für Arbeitsschutz und Mitbestimmung.
4. In einem modernen Sachsen führt digitale Vernetzung zu besserer Beteiligungskultur und stärkt die Bürgergesellschaft.
5. In einem modernen Sachsen werden Medien- und Informationskompetenz aller Generationen gestärkt, ebenso die digitale Selbstbestimmung
sowie Bürger- und Verbraucherrechte.
Nur wenn wir die Digitalisierung demokratisch gestalten, eröffnet sie für Sachsen große wirtschaftliche gesellschaftliche Chancen!
Meine Damen und Herren, lieber Herr Dulig,
es tut mir leid, aber auf dem Weg zu einem modernen Sachsen müssen wir auch die Braunkohleverstromung überwinden. Andere Technologien der Energieerzeugung stehen zur Verfügung. Der Wertstoff Kohle sollte nicht dauerhaft verbrannt werden. Das krampfhafte Festhalten an einer unmodernen, rückständigen Technologie verhindert die Entwicklung der sächsischen Kohlereviere zu modernen Energieregionen, die auch international wettbewerbsfähig werden.
Die Kompetenzen dafür sind dort nämlich vorhanden: Mit Unis, Forschungseinrichtungen, innovativen Unternehmen, mit dem vorhandenen Know How und den Fachkräften wird die Sanierung und Rekultivierung ehemaliger Tagebaue gelingen. Das schafft langfristig Arbeit und führt zu nachhaltiger regionaler Wertschöpfung.
Das lokale Handwerk und die Kommunen profitieren. Die Energieagenturen in den Kreisen Görlitz und Bautzen könnten zentrale Akteure dieser Entwicklung werden. In Kamenz schlummern große Potentiale bei der Entwicklung und wirtschaftlichen Umsetzung von Speichertechnologien und damit für künftige Energiesicherheit und das Funktionieren der Energiewende.
Ein modernes Sachsen fördert Modellregionen der Energiewende, mit dezentralen Erzeugern und Speichern und intelligenten Verteilnetzen.
Ein modernes Sachsen unterstützt Kommunen und Bürger, die die Energieerzeugung selbst in die Hand nehmen.
100 Prozent Erneuerbare – DAS IST DER MOTOR für eine nachhaltige Regionalentwicklung.
Und die Wirtschaftskraft im ländlichen Raum profitiert davon.
Meine Damen und Herren, ich bin dankbar, dass Martin Dulig nicht nur die hochqualifizierten Fachkräfte im Blick hat sondern auch Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte, Ältere, Menschen mit Erkrankungen oder Behinderung.
Auf dem Weg in ein modernes Sachsen brauchen wir all die Maßnahmen, die bisher Ausgeschlossenen, einen Weg in den ersten Arbeitsmarkt eröffnen. Ein Drittel der Langzeitarbeitslosen gilt zum Beispiel als dauerhaft nicht mehr vermittelbar. Wir dürfen nicht vor solchen Grenzen kapitulieren.
Wenn modernes Sachsen bedeutet, dass die, die mit der Modernisierung nicht mithalten können, aussortiert werden, dann will ich diese Moderne nicht.
Zu einem modernen Sachsen gehören vielmehr Rahmenbedingungen, die alle Menschen, die hier leben und neu zu uns kommen, befähigen ihre Potentiale zu entfalten.
Zu einem modernen Sachsen gehört dann auch der Islam und jede andere Religion, die Menschen hier friedlich leben möchten.
Zu einem modernen Sachsen gehört auch der schwule Organist, der wegen seiner sexuellen Orientierung nicht von der Stellenvergabe in einem kirchlichen Betrieb ausgeschlossen werden darf.
Hier sind noch viele Grenzen in den Köpfen und Barrieren bei Bildungs- und Karrierewegen zu überwinden.
Vielfalt ist eine Chance, meine Damen und Herren.
Vielfalt trägt zur Verbesserung der Unternehmensleistung bei.
Vielfalt und interkulturelle Kompetenz und Toleranz verbessern das Klima in unserer Gesellschaft.
Sachsen braucht diese Vielfalt dringend denn je.
Vielen Dank.