Rede zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion DIE LINKE zum Thema: „Soziale Gerechtigkeit im Osten – wie steht es um die soziale Absicherung von Selbstständigen in Sachsen?“ zur 54. Sitzung des Sächsischen Landtags, Zweite Aktuelle Debatte am 17. Mai, TOP 2.
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Arbeitswelt verändert sich rasant. Selbständige Tätigkeiten gewinnen an Bedeutung – durch Reorganisation von Dienstleistungen, durch Outsourcing oder Zerlegung von Produktionsprozessen. Die Digitalisierung führt zu neuen Formen der Selbständigkeit. Sogenannte „digitale Nomaden“ arbeiten mit geringem Kapital orts- und zeitungebunden.
Diese Trends sind einerseits chancenreich und eröffnen gerade in kreativen, innovativen Branchen neue Perspektiven. Gleichzeitig birgt dieser Wandel hohe Risiken, insbesondere durch brüchige Erwerbsbiographien mit teils weitreichende Konsequenzen durch schlechte Absicherung bei Krankheit, Alter oder Erwerbsunfähigkeit. In Dienstleistungsberufen, im Gesundheits- und Pflegesektor oder in der Bauwirtschaft werden Beschäftigte über Subunternehmen und Franchising oft unfreiwillig in die Selbständigkeit gedrängt. Im Internet entstehen virtuelle Arbeitsmärkte und gerade hier ist die Gefahr unsteter, niedriger Einkommen groß. Zusätzliche Mittel für die eigene Absicherung können oft nicht erwirtschaftet werden. Es wundert nicht, dass mindestens zehn Prozent der Selbständigen eine prekäre Einkommenslage haben und akut armutsgefährdet sind.
Die sozialen Sicherungssysteme in unserem Land passen längst nicht mehr zu dieser sich wandelnden Arbeitswelt und zu neuen Erwerbsbiographien. Bei der Krankenversicherung zeigt sich, wie ein überkommenes Verständnis von Selbständigkeit den Gesundheitsschutz bedroht und unangemessen hohe Beiträge fordert. Kleine Selbständige schaffen es oft nicht, ihre Kassenbeiträge zu bezahlen, da ihnen ein Mindesteinkommen unterstellt wird, das sie gar nicht erzielen.
Die nicht mehr zeitgemäße soziale Sicherung ist in zweierlei Hinsicht schädlich: Zum einen schwächt sie die Bereitschaft, unternehmerisches Risiko zu übernehmen, den Sprung in die Selbständigkeit zu wagen, obwohl Geschäftsidee und Engagement vorhanden sind. Zum anderen führt die unzulängliche Absicherung vor Altersarmut zu hohen öffentlichen Kosten bei Grundsicherung und Sozialhilfe.
Aber gerade Sachsen braucht die innovative Kraft von Gründerinnen und Gründern. Wer den mutigen Schritt in die Selbstständigkeit wagt, muss sich besser und einfacher absichern können. Alle nicht anderweitig abgesicherten Selbständigen müssen in die gesetzliche Rente einbezogen werden. Beiträge zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung müssen auch für gering verdienende Selbständige finanzierbar sein. Notwendig ist Beitragsflexibilität. Selbständige sollen in guten Zeiten höhere Beiträge vor- oder nachzahlen können, damit sie in schlechten Zeiten entlastet werden. Wir stehen auch ohne Wenn und Aber zur Künstlersozialkasse. Wir müssen auch über branchenspezifische Mindesthonorare reden, analog zu Mindestlöhnen, die nur abhängig Beschäftigten zustehen.
Im Gesundheitssystem ist eine gerecht finanzierte Bürgerversicherung notwendig, in die alle einzahlen und dann auf gleich hohen Niveau behandelt werden. Konkrete Konzepte haben wir schon vor Jahren vorgelegt. All das werden wir nicht im Landtag entwickeln können, auch wenn die Linksfraktion gerne ihre Bundestagsinitiativen hier bespricht.
Auf Landesebene können wir vor allem für prosperierende Wirtschaft und gesunde Unternehmen sorgen. Über soziale Absicherung hinaus ist für Selbständige der Zugang zu Kapital für Investitionen relevant, insbesondere Zugang zu Wagniskapital bei StartUps in innovativen Branchen. Die soziale Absicherung muss von landespolitischen Maßnahmen der Wirtschaftsförderung flankiert werden. Stabile Unternehmen mit attraktiven Produkten und Dienstleistungen sind wichtige Voraussetzung für die Eigenvorsorge durch Selbständige.
Außerdem können wir dazu beitragen, dass Unternehmerbild zu verbessern. Die Mehrzahl sind Menschen, die Verantwortung für sich und ihre Angestellten übernehmen, wobei sich diese Verantwortungsübernahme nicht im Einkommen von Selbständigen widerspiegelt. Dies liegt im Durchschnitt weit unter dem durchschnittlichen Einkommen von unselbständig Beschäftigten.
Und wir müssen mit Selbständigen direkt reden. Der direkte Austausch ist schon deshalb notwendig, weil das statistische Landesamt zwar einen guten Überblick, aber natürlich kein vollständiges Bild liefert. Der Bund der Selbständigen oder die Kammern sind ebenfalls wichtige Gesprächspartner. Die HWK Dresden hat sich z.B. intensiv mit der Altersarmut im Handwerk auseinandergesetzt und konkrete Handlungsvorschläge unterbreitet.