Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zur Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion CDU: „Dem Wolf ausgeliefert? Wolfsschutz in Deutschland und Europa endlich den Realitäten vor Ort anpassen – Fundiertes Wildmanagement zum Ausgleich in der Kultur- und Naturlandschaft nutzen.“
63. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Freitag, 16.12.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
es ist unsere Aufgabe, Konflikte zu lösen und einen Ausgleich der Interessen herzustellen. Beim Thema Wolf gibt es große Konflikte in der Gesellschaft, auch innerhalb meiner Partei. Die Naturschutzpolitiker kämpfen für bedrohte Arten, die Landwirtschaftspolitiker für die bedrohte Weidetierhaltung. Ich bin beides in einer Person und darf mich mit mir selbst streiten. Einerseits bin ich fasziniert, wenn Artenschutz erfolgreich ist, wenn längst verschwundene Tier- und Pflanzenarten sich wieder etablieren. Andererseits bin ich in großer Sorge um die Weidetierhaltung. Ich sehe die Trauer und Verzweiflung vieler Tierhaltenden. Ich erlebe, wie einige, angesichts der fürchterlich zugerichteten Tiere, die Weidehaltung aufgeben. „Das tue ich mir nicht mehr an“, hat mir erst kürzlich eine Tierhalterin gesagt. Dabei ist Weidehaltung doch das Beste für Tier, Natur und Kulturlandschaft.
Beim Streit um den Wolf geht es häufig sehr emotional zu. Wo viel Emotion ist, ist auch mit viel Populismus zu rechnen. Doch den Weidetierhaltenden hilft eine populistische, emotionsgeladene Debatte nicht. Sie brauchen echte Lösungen, die in der täglichen Praxis funktionieren. Diese Lösungen finden wir nicht mit Wut und Schuldzuschreibung, sondern auf der Basis von Versachlichung und Fakten.
Fakt ist: Weidehaltung ist nicht nur gut für die Tiere und die Kulturlandschaft. Beweidung und Offenhaltung von Flächen ist vielerorts Voraussetzung dafür, dass bestimmte Arten überleben oder sich ansiedeln. Bodenbrüter, Frösche, Kröten oder Insekten profitieren davon. Weidehaltung ist also auch Artenschutz. Nachhaltige Weidenutzung erfüllt zudem wichtige Funktionen für den Wasserhaushalt der Böden und auch für den Hochwasserschutz.
Fakt ist: Hauptberufliche Weidetierhalterinnen und -halter sind oft in eine prekäre wirtschaftliche Situation geraten – aufgrund des Preisdrucks oder verschlechterter Absatzmöglichkeiten ihrer Produkte. Die Hauptfeinde der Weidetierhaltung sind die industrielle Billigproduktion, fehlende Wertschätzung für die Produkte und fehlende Förderung. Das war schon vor der Rückkehr des Wolfes so, hat also wenig mit dem Wolf zu tun.
Fakt: Selbst ein hundertprozentiger finanzieller Ausgleich der Schäden kann die psychische Belastung nach einem Wolfs-Riss nicht ausgleichen. Das darf keinesfalls abgewertet werden, insbesondere bei privaten Tierhaltungen, wo die Weidetiere nicht für die Schlachtung produziert werden.
Fakt ist: Das EU-Parlament war bereits auf einem guten Weg. Der Entschließungsantrag zum Schutz der Viehwirtschaft und der Großraubtiere in Europa wurde auch von den GRÜNEN unterstützt. Mit diesem, von der großen Mehrheit getragenem Antrag, wird die Kommission aufgefordert, die Fortschritte bei der Erreichung des günstigen Erhaltungszustands zu bewerten und dabei der hohen grenzüberschreitenden Mobilität von Arten wie dem Wolf Rechnung zu tragen. Die negativen Auswirkungen auf die Viehzüchter durch zunehmende Angriffe werden anerkannt. Der Antrag forderte, Regionen, in denen es Konflikte gibt, zu unterstützen. Die Mitgliedstaaten sollen wirksam handeln, um Schäden zu verhindern, zu mindern und auszugleichen – gerade, wenn die Populationen von Großraubtieren zunehmen. Traditionelle landwirtschaftliche Verfahren wie die Weidewirtschaft sollen geschützt und erhalten werden.
Fakt ist leider auch, dass dieser breite Konsens von den konservativen und liberalen Parteien verlassen wurde, um im Block mit den rechtspopulistischen Parteien einen anderen Text zu beschließen, der das Ergebnis der geforderten Überprüfung bereits vorwegnimmt und die Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes in der Berner Konvention fordert.
Fakt ist: Eine Woche nach der Entscheidung im Europaparlament hat der ständige Ausschuss der Berner Konvention einen Antrag der Schweiz auf die Herabstufung des Schutzstatus des Wolfes endgültig abgelehnt. Das populistische Manöver im EU-Parlament hat also rein gar nichts gebracht. Der Wolf bleibt weiterhin streng geschützt.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Die Lösungen in Bezug auf den Herdenschutz und das Wolfsmanagement müssen fundiert sein – wie der Debattentitel es auch sagt. Schäden für Weidetiere gehen mal von ganzen Rudeln aus, mal von territorialen Einzeltieren, aber auch von durchziehenden Wölfen oder von abwandernden Jungwölfen. Die Gefahren für schlecht geschützte Weidetiere bestehen also immer. Die Rechnung “weniger Wölfe gleich weniger Schäden” ist falsch und führt leider zu der gefährlichen Annahme, man könne durch mehr Abschüsse die Sicherheit erhöhen. Es gibt wolfsfreie Regionen, da hat ein einzelner, nicht territorialer Wolf auf einen Schlag viele Schafe getötet. Und es gibt Regionen, die von Wölfen besiedelt sind und über Jahre keine Schäden hatten, weil dort die Wölfe gelernt haben, dass die Nutztiere gut geschützt sind.
Herdenschutz ist der einzige wirksame Weg zur Vermeidung von Rissen. Möglichst viele Wölfe müssen möglichst früh lernen, dass die Annäherung an Weidetiere mit einem Stromschlag bestraft wird. Auch Herdenschutzhunde sind sehr hilfreich. Die wenigen Wölfe, die sich dann trotzdem an Weidetieren vergreifen, müssen zügig entnommen werden. Nur die Kombination aus ernsthaftem Herdenschutz und der schnellen Entnahme von identifizierten Problemwölfen ist der Schlüssel für eine Koexistenz von Weidetierhaltung und Wölfen, wie wir sie in Ländern wie Rumänien, Polen oder Italien schon lange sehen. Einfach nur den Schutzstatus des Wolfes zu senken, trägt nicht zu mehr Schutz der Weidetiere bei. Aber unser gemeinsames Ziel muss doch die Sicherheit der Weidetiere und die Sicherung der Existenz der Tierhaltenden sein, und nicht die Befriedigung von Stimmungen.