Aktuelle Debatte – Regionale Lebensmittel.

Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zur Ersten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion BÜNDNISGRÜNE zum Thema: „Lebensmittel aus Sachsen: Regionalwert schaffen, Land und Stadt verbinden, gesunde Esskultur fördern“
45. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 10.02.2022, TOP 1.

Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

„Lebensmittel aus Sachsen: Regionalwert schaffen, Land und Stadt verbinden, gesunde Esskultur fördern“ – das klingt freundlich, es wird aber sicher keine Wohlfühldebatte. Die Herausforderungen sind komplex, das Konfliktpotential ist massiv. Und es müssen auch unbequeme Wahrheiten angesprochen werden. Wer als sächsischer Landwirt oder als regionaler Abgeordneter oder als kritische Verbraucherin der global agierenden Lebensmittelindustrie gegenübertritt, mit ihrer gnadenlosen Markmacht, fühlt sich schnell so winzig wie David gegen Goliath. Es gibt einige Gründe für diese aktuelle Debatte: 

Die Landwirtschaft ist unter Druck. Für Billigpreise zu produzieren und gleichzeitig gestiegene Umwelt- und Tierwohlanforderungen erfüllen, dazu noch Wetterextreme, Tierseuchen, Ertragsausfälle – das alles wird existenzbedrohend, immer häufiger treffe ich auf völlig verzweifelte Landwirt:innen. Zudem wurde gerade heftig gestritten: über die Unterstützung der einheimischen Betriebe in der neuen EU-Förderperiode und über die Möglichkeiten und Grenzen der Selbstversorgung in Sachsen.

Es entstehen gerade aber auch neue Strukturen für regionale Verarbeitung und Vermarktung. Und der Freistaat und die Koalition unterstützen diese neuen Wege.

Es soll in dieser Debatte auch um mehr lebendige Kooperation zwischen Städten und ländlichen Räumen gehen – nicht nur bei der Ernährung, sondern auch bei der Flächenpolitik. Denn der Flächenfraß schreitet ungebremst voran. Wir müssen über den Schutz von Landwirtschaftsflächen vor Versiegelung und Bodenspekulation reden.

Und nicht zuletzt führt die bundesweite Diskussion über Lebensmittelpreise zum Nachdenken über den notwendigen Wandel in der Esskultur.

Meine Eltern gehörten einer Generation an, die Mangel und Hunger erlebte. Uns Kindern sollte es besser gehen. Sie bereiteten das Essen überwiegend selbst zu und bezogen uns dabei ein. Gegessen wurde gemeinsam. Das Dankgebet war mehr als religiöse Routine – ein Ritual der Wertschätzung gegenüber dem Essen auf dem Tisch. Reste wurden aufgehoben und später gegessen. Das hatte auch ökonomische Gründe.

Das Allerwichtigste, was wir zum Leben brauchen, hat allein in dem Zeitraum, in dem ich lebe, einen enormen Werteverfall zu verzeichnen. Die Theken und Kühlregale quellen über mit preiswerten Lebensmitteln und oft zu billigen Fleischprodukten. Und obwohl seit Jahresbeginn einige Lebensmittelpreise steigen, kommt davon kaum etwas bei denen an, die Lebensmittel anbauen und verarbeiten. Zu viele Tiere werden weiter unter fragwürdigen Bedingungen gehalten, zu lange und zu weit transportiert, um am Ende auch weggeworfen zu werden. Das Ausmaß der Lebensmittelverschwendung ist enorm.

Diese Entwicklung ist falsch. Sie schadet dem Klima, belastet unsere Gesundheit und drängt viele sächsische Betriebe in einen harten Wettbewerb zu Lasten der Erlöse, der Arbeitsbedingungen, der Umwelt und des Tierwohls. Die Auswege aus diesem Teufelskreis heißen weniger Masse, mehr Qualität, mehr Wertschätzung, mehr Regionalität. Mehr Lebensmittel aus Sachsen bedeutet, dass die Urprodukte hier weiterverarbeitet und verwendet werden, anstatt in großen Mengen das Land zu verlassen. So entsteht ein Regionalwert und auch ein gesellschaftlicher Mehrwert, der größer ist als rein wirtschaftliche Wertschöpfung.

Der Bauernverband Sachsen hat als Werbung für Lebensmittel aus Sachsen eine Publikation mit etwa 160 Hofläden und anderen Anbietern herausgebracht. Seit 2014 forciert das sächsische Landwirtschaftsministerium regionale Produkte mit dem Kennzeichnungssystem „Regionalfenster Sachsen“ und auch mit einem eigenen Suchportal. Dort sind seit 2019 einhundert Anbieter:innen dazugekommen – Tendenz steigend. Auch der Ansatz, Großverbraucher wie Kantinen und Gemeinschaftsverpflegung mit regionalen Hersteller:innenn zu vernetzen, funktioniert immer erfolgreicher.

Es gibt in Sachsen eine wachsende Zahl an Unternehmen, die nach dem Konzept der solidarischen Landwirtschaft eng mit den Verbraucher:innen zusammenarbeitet. Zwei Bio-Regio-Modellregionen starteten mit Jahresbeginn in Ostsachsen und eine neue Agentur für regionale Lebensmittel nahm ihre Arbeit auf.

Es gibt also Wege aus der Krise. Es gibt Möglichkeiten, wie sich unser Ernährungssystem mehr als bisher für regionale Kooperationen öffnen kann.

Das Aufwachsen und Leben in einer Großstadt kann zu einer Entfremdung führen. Viele Kinder und Jugendliche kennen die Nutztierarten und -pflanzen kaum noch und haben nicht gelernt, Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Sie können noch nicht hinter die Fassade der schönen Werbung schauen. Und wissen noch nicht, dass das, was besonders günstig angepriesen wird, unter dem Strich oft sehr ungünstig ist für die eigene Gesundheit, für die arbeitenden Menschen, für die Tiere oder für die Natur.

Es ist daher dringend notwendig, die Verbindung zwischen Stadt und Umland wieder herzustellen, z.B. bei Hofbesuchen mit der Schule oder bei Bio-Erlebnistagen vor Ort. Die Beziehung zwischen Stadt und Region wird auch mit Bio-Regio-Modellregionen in den Blick genommen: Die erste Region wirbt mit dem Motto »Regionalwert schaffen – Lausitz« im Landkreis Görlitz. Es geht um die Etablierung kurzer Wertschöpfungsketten und die Rückbesinnung auf alte Nutzpflanzenarten. Die zweite Bio-Regio-Modellregion »Stadt-Land-Brücke – Lausitz goes Dresden« verbindet Produzent:innen in der Lausitz mit Konsument:innen in Dresden. Eine dritte Region soll in diesem Monat starten.

Mit dem Förderkonzept Bio-Regio-Kantine unterstützt der Freistaat zudem den Einsatz regional erzeugter Lebensmittel und fördert gesunde Ernährung in der Gemeinschaftsverpflegung. Hier kann die öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen. Und es wäre interessant, mal zu fragen, welche regionalen Produkte zum Beispiel in der Landtagskantine zum Einsatz kommen.

Verbindung entsteht nicht nur durch Einkauf in der Region. In der sogenannten „Solidarischen Landwirtschaft“ tragen mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug einen Teil des Ernteertrags erhalten. Gute und schlechte Ernten werden solidarisch geteilt. Dieser persönliche Bezug der Familien zueinander schafft einen enormen Mehrwert für das Verständnis von Landwirtschaft und für die gesellschaftliche Kultur. In den inzwischen 21 Betrieben in Sachsen wird häufig Gemüse und Obst angebaut. Gerade da ist der Selbstversorgungsgrad in Sachsen sehr gering und es gibt eine steigende Nachfrage. Solche Konzepte haben nicht nur eine wachsende Bedeutung für die regionale Versorgung, sondern helfen auch, das Negativimage von der „abgehängten Region“ zu überwinden.

Auch bei der Flächenpolitik braucht es mehr Miteinander und Solidarität zwischen Stadt und Umland. Landwirtschaftsflächen sind die wichtigsten Gewerbeflächen, die wir haben – weil dort unsere Lebensmittel hergestellt werden. Doch viele Städte weisen nach wie vor Gewerbe- und Wohnstandorte auf Landwirtschaftsflächen aus. Oft sind es kleine Flächen – anscheinend verzichtbar. Doch es ist ein schleichender Prozess. Geworben wird mit Sätzen wie „Hier wird perspektivisch nicht mehr geerntet, sondern gelebt“. Doch wovon wird perspektivisch gelebt, wenn nicht mehr geerntet wird? Es ist mehr denn je notwendig, auf allen Ebenen den Grundsatz Brachennutzung vor Nutzung unversiegelter Flächen konsequenter umsetzen. Das kann der Freistaat nicht allein sicherstellen.

Aber es geht auch um den besseren Zugang zu Agrarflächen für ortsansässige Landwirt:innen. Für außerlandwirtschaftliche Investor:innen muss der Erwerb landwirtschaftlicher Flächen und auch Anteilskäufe an Betrieben erschwert werden. Vielmehr brauchen Existenzgründer- und Hofnachfolger:innen bessere Chancen, um in der Landwirtschaft zu starten. Das ist nicht nur gut für mehr Lebensmittel aus Sachsen, sondern auch für die Belebung der Dörfer.

Betriebe, die die ökologische Transformation als Aufgabe annehmen, brauchen Planungssicherheit und Einkommensperspektiven. Sachsen bekommt bislang circa neun Prozent der deutschen ELER-Mittel. Die Agrarminister hatten schon 2013 beschlossen, dass der Ostbonus ausläuft. Sachsen würde demnach bei fünf Prozent landen. Nun ist es mit grünem AMK-Vorsitz in den Verhandlungen zur neuen Förderperiode der GAP gelungen, dass Sachsen trotzdem noch fast acht Prozent der ELER-Mittel bekommt. Rechnerisch sind das rund 87 Mio Euro pro Jahr mehr für die ländlichen Regionen. Erfolgreiche Verhandlungen für Sachsen, die der Landwirtschaft aber nur zum Teil zugute kommen, da auch die Mittel für die Entwicklung des ländlichen Raums daraus gespeist werden.

Doch die Landwirtschaftsbetriebe können die gestiegenen Anforderungen bei Umwelt- und Klimaschutz nicht allein bewältigen. Sie brauchen Unterstützung bei ihren Anstrengungen zum Erhalt der Biodiversität, bei Investitionen in artgerechte Tierhaltung oder auch beim Umstieg Richtung ökologischer Landbau.

Wir sind an der Seite der Unternehmen, die sich an einer sozial- und umweltverträglichen Landwirtschaft orientieren, die mit nachhaltiger Landnutzung auch Lebensräume für wildlebende Arten sichern – und für die das Leitbild des ökologischen Landbaus kein Feindbild ist.

Wir sind an der Seite der Unternehmen, die Tiergerechtigkeit, Gentechnikfreiheit, Pestizid- oder Antibiotikareduzierung nicht als ideologische Forderungen einer ahnungslosen Stadtbevölkerung abtun, sondern für die gesunde Lebensmittel, faire Arbeitsbedingungen und die Reduzierung der Belastungen von Wasser und Böden selbstverständliche Verantwortung ist. Aber deswegen sind wir nicht an der Seite derer, denen es allein darum geht, mit den geringsten Kosten zu produzieren – in einem ruinösen Wettbewerb um globale Märkte.

Wir sind an der Seite der Unternehmen, die sich an einer regional verwurzelten Landwirtschaft orientieren – egal, ob langjährige große Betriebe mit DDR-Geschichte, kleine bäuerliche Familienbetriebe oder Junglandwirt:innen. Egal, ob bewährte Genossenschaftsstrukturen oder innovative Konzepte wie „Solidarische Landwirtschaft“. Aber wir sind nicht an der Seite von Unternehmern, die sich mit sächsischen Steuermillionen subventionieren lassen, um dann die Erträge im Ausland zu versteuern.

„Wachse oder weiche“ ist der falsche Weg. Deshalb muss es darum gehen, dass wieder viel mehr verschiedene sächsische Betriebe bei Erzeugung, Verarbeitung und Handel zusammenarbeiten und davon profitieren. Der gnadenlose Preiskampf mancher Discounter hingegen, bei dem wertvolle Lebensmittel zu Ramschware degradiert werden, führt nicht in die Zukunft. „Hauptsache Billig“ kommt am Ende uns allen teuer zu stehen.

Die Situation von Menschen mit geringeren Einkommen darf nicht gegen die Situation von Landwirt:innen ausgespielt werden. Denn auch sie müssen von ihren Einkommen leben können. Gesunde Lebensmittel, faire Arbeitsbedingungen und die Reduzierung der Belastungen von Wasser und Böden gibt es nicht zum Nulltarif. Preise müssen ‚ökologische Wahrheiten‘ auch ausdrücken. Und Menschen mit niedrigeren Einkommen brauchen Unterstützung, um steigende Lebenshaltungskosten finanzieren zu können. Das wäre ökologisch UND sozial gerecht.

Vielen Dank!

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