Rede in der Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion GRÜNE zum Thema: ‚Ein politischer Neuanfang braucht eine neue demokratische Kultur – moderne Bürgergesellschaft statt Obrigkeitsstaat‘ zur 63. Sitzung des Sächsischen Landtags am 16. November, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
„Für eine gute Zukunft Sachsens sind neue Antworten wichtig. Es braucht den Mut, gewohnte Bahnen zu verlassen.“ So erklärte vor einem Monat ein ratloser sächsischer Ministerpräsident seinen Rückzug.
Warum? Weil er keine neuen Antworten hat! Weil er gefangen ist in der Vorstellung, ein starker Staat müsse die Bahnen vorgeben, in die wir uns dann alle zufrieden einfügen. Weil ja seine Partei ja die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse in Sachsen schon seit der Wende wohl ordnet und verwaltet.
Doch diese Illusion ist gescheitert. Aber wer gibt nun neue Antworten? Der in feudaler Art verkündigte Thronfolger als neuer sächsischer Heilsbringer? Ganz sicher nicht!
Wer zukunftsfähige Lösungen für Sachsen entwickeln will, muss sich von obrigkeitsstaatlichem Denken befreien und eine breite Debatten- und auch Fehlerkultur entwickeln und befördern.
Und deswegen müssen wir darüber reden, wie es dazu kam, dass so viele ihre Probleme einfach an die Politikerinnen und Politiker delegieren und sich wütend von ihnen abwenden, wenn diese nicht wunschgemäß liefern.
Wir müssen auch darüber reden, warum Menschen, die nicht delegieren, die sich selbst engagieren, dass diese Menschen sich allzu oft belehrt, bevormundet aber auch angefeindet fühlen. Und am Ende kapitulieren und sich zurückziehen.
Anstatt ständig den starken Staat zu beschwören, müssen wir darüber reden, wie sich in Sachsen eine aktive, starke Zivilgesellschaft entwickeln kann.
Ein politischer Neuanfang erfordert zunächst einen kritischen Blick zurück:
Kurt Biedenkopfs Politikstil war sicher nicht die lineare Fortsetzung des autoritären Staatsverständnisses der DDR. Aber natürlich knüpfte die Nachwende-CDU mit ihrem ersten MP stark an dem in der DDR geprägten Obrigkeitsdenken an. Die Gewohnheit, dass es „die da oben“ richten, kam den CDU-Wahlkreisabgeordneten und dem damaligen MP sehr entgegen. Auf diesem Nährboden wuchs die Anmaßung, sächsische Interessen oder die des Wahlkreises alleine vertreten zu können.
Dieser Alleinvertretungsanspruch führt eben dazu, dass manche Verbände glauben, mehr Gehör zu bekommen, wenn sie einen möglichst hochrangigen CDU-Politiker in den Vorstand holen.
Wer einen solchen Alleinvertretungsanspruch über die Jahre kultiviert, wird kritische Bürgerstimmen oder die Opposition diskreditieren – mal als maßlos, mal als ideologisch oder auch als schädlich fürs Land. Er wird manche Themen und Vorschläge aufgreifen – aber nicht partnerschaftlich, sondern gönnerhaft. Also nach dem Muster: WIR machen das schon für Euch.
Dieser Alleinvertretungsanspruch trägt nicht mehr in Sachsen.
Genauso wenig trägt die Politik großartiger Ankündigungen mehr. Aber anstatt daraus zu lernen, ist der sächsische SPD-Vorsitzende nach der Bundestagswahl erst einmal auf einen ganz hohen Baum geklettert und hat ein grundsätzliches Umsteuern in Sachsen wurde angekündigt mit einer neuen politischen Kultur, einem neuen Denken, einer völlig neuen Herangehensweise an die Probleme in Sachsen.
Wir alle wissen um die heiße Luft solcher Ankündigungen. Wenn’s konkret wird – wie gestern zum Antrag zum Nachtragshaushalt – meint es die SPD dann doch nicht so ernst mit dem lautstark verkündetem Ende der schädlichen Sparpolitik.
Aber sei’s drum!
Ein neues Denken, das Martin Dulig verspricht, ist ja dringend notwendig. Wir brauchen keine Zivilgesellschaft, die, wie Stanislaw Tillich sagte, einem starken Staat folgt. Wir brauchen eine Zivilgesellschaft, die die Regierung wachsam kritisiert, die mit ihr streitet und ihr nicht blind vertraut. Gewohnte Bahnen zu verlassen heißt, gerade das kritische, unbequeme Engagement mündiger Bürgerinnen und Bürger zu fördern, es nicht zu diskreditieren oder zu behindern.
Sachsen wird einen Weg aus vielen ungelösten Problemen finden, wenn die Bürgerinnen und Bürger auf Augenhöhe mit Behörden und Regierung streiten, wenn Hürden für Beteiligung fallen, wenn die Verfahren und Prozesse transparent werden, wenn die Entwicklung einer aktiven, demokratischen Bürgergesellschaft zugelassen und gefördert wird, damit sich ihre Energie entfalten kann.