Redebeitrag des Abgeordneten Volkmar Zschocke (BÜNDNISGRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte auf Antrag der Fraktion AfD: „Mit Volldampf in den Kohldampf – Nahrungsmittelkrise voraus?“
50. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 05.05.2022, TOP 1
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
es gibt viele Instrumente gegen die Nahrungsmittelkrise: mehr Klimaschutz, mehr Regionalität, mehr Stärkung der Selbstversorgung, Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit weniger tierischen Erzeugnissen, Verringerung der Abhängigkeit von Düngerimporten, Kampf gegen Lebensmittelverschwendung, Unterstützung des Welternährungsprogramms, Stärkung der Rechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit, Kampf gegen Nahrungsmittelspekulation und vor allem globale Gerechtigkeit und Friedenspolitik. Was die AfD hier vorgetragen hat, sind Scheinlösungen, die keinen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten – im Gegenteil: Sie können die Probleme sogar verschärfen.
Schon der Debattentitel lässt jede Ernsthaftigkeit bei der Bekämpfung lebensbedrohlicher Krisen auf unserem Planeten vermissen. Die Nahrungsmittelkrise ist nicht voraus, sondern längst tödliche Realität. Alle dreizehn Sekunden stirbt ein Kind an den Folgen von Hunger. 800 Millionen Menschen weltweit hungern, über zwei Milliarden leiden an Mangelernährung. 125 Millionen Menschen müssen über das World Food Programm ernährt werden.
Ursachen sind die katastrophalen Folgen des Klimawandels, bittere Armut, Krieg und Flucht, unfairer Welthandel und unser verschwenderischer Lebensstil in den reicheren Ländern. Dazu kommt Putins brutaler Krieg. Lebensmittelversorgung wird als geopolitisches Machtinstrument eingesetzt. Viele afrikanischen Staaten und Länder im arabischen Raum werden Leidtragende sein. Allein 4,5 Millionen Tonnen Getreide sitzen auf Schiffen in den ukrainischen Häfen fest und können nicht genutzt werden. Die Seewege sind blockiert.
Ich spreche der AfD schlichtweg die Glaubwürdigkeit ab, sich all diesen Problemen ernsthaft stellen zu wollen. Sie nutzen die Situation vielmehr, um Stimmung zu machen gegen Umwelt- und Artenschutz, gegen Tierwohl, gegen Dünge- und Pestizidbeschränkungen oder auch gegen den Ökolandbau.
Aber es ist falsch und verantwortungslos, eine Krise gegen die andere auszuspielen. Die Vernachlässigung der Ökologie verschärft die Klimakrise und damit den Welthunger. Die wichtigsten Grundlagen zur Bekämpfung der Nahrungsmittelkrise sind gesunde Böden, ausreichend Wasser, ein stabiles Klima und eine hohe Artenvielfalt.
Doch Sie ignorieren die dramatischen Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise für die Welternährung. Wer den Welthunger stillen will, ohne die Ökologie zu beachten, wird den Welthunger verschärfen.
Sie lehnen den Green Deal ab. Sie lehnen die Pläne der EU zu Pestizidreduktion und ökologischer Transformation von Landwirtschaft und Ernährung ab. Stattdessen schreien Sie nach mehr Pflanzenschutz und Düngung, um dann im nächsten Atemzug die horrend steigenden Preise für Düngemittel und Pestizide anzuprangern. Das ist doch absurd. Die Kosten für importierten Mineraldünger werden sich weiter verteuern. Ökolandbau beispielsweise kommt ohne importierten Mineraldünger aus. Warum auf die energieintensiven, teuren fossilen Systeme setzen, wenn wir in Sachsen die gesunden, natürlichen und zukunftsfähigen Systeme nutzen können? Mit einer Eiweißpflanzenstrategie, mit bodengebundener Tierhaltung, mit regional geschlossenen Nährstoffkreisläufen? Mehr Ökologie ist doch nicht das Problem, sondern Teil der Lösung!
Sie fordern die Freigabe von Randstreifen und Brachen für die Nahrungsmittel-Produktion. Das sind in Deutschland gerade mal 350 000 Hektar, schwer zu bewirtschaftende Flächen mit geringen Erträgen. Damit Millionen Hektar Anbaufläche der Ukraine kompensieren zu können, ist einfach nur irreführende Propaganda. Die Tierhaltung etwas zu reduzieren, das fordern Sie aber nicht. Das würde aber tatsächlich wertvolle Anbaufläche freisetzen. Das wäre ein substanzieller Beitrag zur Welternährung und auch zur Stärkung unserer Selbstversorgung. Sie verteidigen hier letztendlich ein System, in dem viel zu viele Nutztiere den Armen dieser Welt das Brot wegfressen. Dem müssen Sie sich mal stellen, statt sinnlos gegen ökologische Vorgaben zu schießen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
für jede Kalorie aus tierischen Nahrungsmitteln muss ein Vielfaches an pflanzlichen Kalorien angebaut und verfüttert werden. Mehr pflanzliche Ernährung ist auch kein Problem, sondern Teil der Lösung, einer gesunden Lösung sogar. Und dieser Vorschlag kommt nicht von uns BÜNDNISGRÜNEN, sondern von der Zukunftskommission Landwirtschaft.
Und während die Menschen in Sachsen unter massiv steigenden Öl- und Gaspreisen leiden, bekämpfen Sie lieber den Ausbau der preiswerten Erneuerbaren Energien. Sie prangern den Flächenverbrauch für Solaranlagen an. Dass diese aufgrund ihrer höheren Effizienz die Flächendiskrepanz zwischen Nahrung und Energie erheblich entschärfen, ignorieren sie vollständig.
Mit dem Strom aus einem Hektar Photovoltaik-Anlage kann ein batterieelektrischer PKW zweieinhalb bis fünf Millionen Kilometer zurücklegen, mit dem Biokraftstoff aus einem Hektar Raps fahrt ein PKW mit Dieselmotor im Vergleich dazu nur rund 30.000 Kilometer weit. Wenn die energetische Erzeugung für Agrosprit durch erneuerbare Stromerzeugung ersetzt wird, werden Flächen wieder für die Nahrungserzeugung frei. Pflanzenöle und Getreide gehören auf den Teller und nicht in den Tank. Was wir daher brauchen, ist eine Begrenzung der Beimischung von Agrosprit und eine Elektrifizierung des Verkehrssektors. Was wir nicht brauchen, ist billige Polemik gegen Solaranlagen.
Ein wichtiges Instrument gegen die Nahrungsmittelkrise ist die Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung. Die Menge an vergeudetem Weizen allein in der EU entspricht etwa der Hälfte der Weizenexporte der Ukraine. In Frankreich gibt es seit 2016 sogar ein „Gesetz zur Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung“. Alle Supermärkte sind dazu verpflichtet, nicht verkaufte Lebensmittel zu spenden anstatt sie zu entsorgen. Ähnliche Initiativen gibt es mittlerweile in mehrere europäischen Staaten, wie z.B. in Tschechien, Italien und Finnland.