Plädoyer für eine ambitionierte, selbstbewusste und zukunftsorientierte Politik zur Vollendung der deutschen Einheit

 

Nach einer aktuellen Umfrage fühlt sich die Mehrheit der Sachsen als Bürger zweiter Klasse. Das ist nicht neu. Es wundert auch nicht, dass Linke und AfD dieses Gefühl der Benachteiligung verstärken. Die Linkspartei braucht dieses Gefühl für ihre Selbstinszenierung als Partei der ostdeutschen Interessen. Die AfD missbraucht dieses Gefühl, um Vorurteile und Ressentiments gegen Fremde und Minderheiten zu schüren.

Maßgebliche Protagonisten der sächsischen CDU versuchen den Minderwertigkeitsgefühlen mit der kämpferischen Aufforderung zu mehr kollektivem Sachsenstolz zu begegnen. Das Selbstbewusstsein des Einzelnen stärkt dies zwar nicht. Es klatschen aber all jene Beifall, die das völkische Bewusstsein steigern wollen.

Auch die sächsische SPD hat das ostdeutsche Benachteiligungsgefühl für sich entdeckt. Landesvorsitzender Dulig unterstellt, dass eine Jamaika-Koalition ja eine West-Koalition geworden wäre. Gleichzeitig beklagt er, dass auch die Parteien der Großen Koalition gerade im Osten an Vertrauen verloren hätten. Da nach dieser Sichtweise von Berlin also offenbar keine Politik für die Ostdeutschen zu erwarten ist, bleibt der Integrationsministerin Köpping von der SPD ja gar nichts anderes übrig, als sich um all die Wendeverlierer in Sachsen selbst zu kümmern. So reist sie umher und hört sich die Geschichten über Verletzungen aus der Wendezeit an. Wer sich fürsorglich kümmert, erntet Beifall.

All diese politischen Ansätze zum Umgang mit dem ostdeutschen Benachteiligungsgefühl benötigen ein West-Ost-Gefälle. Dieses ist auch real vorhanden. Bei der Wirtschaftskraft, den Reallöhnen, den Renten. Doch anstatt dieses Gefälle zu beklagen und zu kultivieren, braucht es ambitionierte, selbstbewusste und zukunftsorientierte Politik, um 30 Jahre nach der Friedlichen Revolution die offenen Fragen der Vollendung der deutschen Einheit jetzt anzugehen.

Es braucht ein neues Fördersystem für strukturschwache Regionen in Ost und West, mit dem insbesondere Innovationen und Investitionen in die Zukunft unterstützt werden. Gemeinsam mit den GRÜNEN in Brandenburg haben wir zum Beispiel einen selbstbewussten Plan A für den Strukturwandel in der Lausitz vorgelegt. Dieses neue Selbstbewusstsein habe ich zuletzt wieder in Görlitz gespürt: Nicht mit Gejammer, sondern mit viel positiver Energie kämpft die gesamte Region für zukunftsfähige Industriearbeitsplätze.

Es braucht Mindeststandards bei der Gesundheitsversorgung, bei der Digitalisierung, bei den Mobilitätsangeboten – auch für die, die kein Auto haben. Wir haben ambitionierte Konzepte auf den Tisch gelegt, die Mobilität für Alle garantieren, statt das abgehängt sein zu beklagen. Und wir streiten natürlich für eine schnellere Angleichung des Rentenrechts, um eine Garantierente, um auch im Alter selbstbestimmtes Leben in Würde zu ermöglichen, anstatt Menschen abhängig von staatlicher Fürsorge zu machen.

Das Land ist voller Lösungen. Das Kernproblem der sächsischen Landkreise ist doch nicht das West-Ost-Gefälle, sondern dass die Landratsämter seit Jahrzehnten in CDU-Hand sind. Das hat zu Stillstand und Filz geführt. Das trägt auch dazu bei, dass manch junger Mensch die Region verlässt. Deshalb stärken wir engagierten Menschen den Rücken, die das Schicksal ihrer Region selbst in die Hand nehmen, die das nicht länger der CDU überlassen, die sich für Vielfalt und gesellschaftliche Öffnung einsetzen.

Und deshalb wollen wir nicht wie die anderen Parteien politisches Kapital aus den Benachteiligungsgefühlen schlagen.

Im Gegenteil: Wir streiten für den emanzipatorischen Politikansatz der Bürgerbewegung von 1989. Für eine aktive Zivilgesellschaft, die die Regierung wachsam kontrolliert und sich einmischt. Denn wenn die Entwicklung einer aktiven, demokratischen Bürgergesellschaft zugelassen und gefördert wird, wird dies viel Energie entfalten.

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